Den deutschen Statistikschaffenden sei Lob und Dank, denn schon wieder beglückten sie das Volk mit einem schönen neuen Wortungetüm: "Migrationshintergrund". Eine Wortschöpfung wie Frankensteins Monster: Aus alten Teilen unschön zusammengeflickt, von niemandem so richtig gemocht, im Ergebnis stark abweichend von den urpsrünglichen Absichten seines Schöpfers, und wo es auftaucht, kommen verängstigte Dorfbewohner mit Fackeln und Heugabeln angerannt, um es zu verscheuchen.
Ursprünglich hatten die vielbeschäftigten Passagiere des Unglücksdampfers "Statistic", wie immer auf Kollisionskurs mit dem großen Eisberg namens "Realität", nur die Absicht, eine weitere unbeschriftete Menschenschublade mit einem hübschen Etikett zu versehen. Leider war dieses Etikett viel zu groß für das kleine Fach, so daß es bald auch benachbarte Schubläden verkleisterte und mittlerweile auf alles mögliche draufgepappt wird, was nicht bei "3" auf dem Stammbaum ist.
Schauen wir uns die Kreatur mal näher an. "Migration" stammt vom lateinischen "migratio", was nichts anderes bedeutet als "Wanderung". Wir haben es also neudeutsch und politically incorrect mit "Menschen mit Wanderhintergrund" zu tun. Und damit wird auch schon der ganze Unsinn der Wortneuschöpfung offenbar: Denn in der Übersetzung bekommt meine wanderlustige, "reinrassig" deutsche Oma somit einen "Migrationshintergrund" verpaßt. Was wohl nicht so richtig im Sinne des Erfinders war.
Dönerbudenbesitzer Erkan von nebenan dagegen bekommt keinen, weil er auch die 1,5 Meter von der Friteuse bis zum Gammelfleischkarussell noch mit seinem Auto zurücklegen würde, wenn er könnte. Denn das Wandern ist eben immer noch des Müllers, aber nicht des Değirmencis* Lust.
Zudem wird das Wort "Migration" in völlig unterschiedlichen Sparten der Wissenschaft überall dort verwendet, wo irgendwas zu wandern beginnt, seien es nun Erdöl, Körperzellen oder Planeten. Ein längerfristiger Wohnsitzwechsel über eine längere räumliche Distanz macht mich laut Fachgebiet Soziologie ebenfalls zum Migranten. Also hat meine Tochter theoretisch einen Migrationshintergrund, denn ihr Papa ist ja bis ins ferne Bavaristan gereist, um sich dort seit Jahren in der alten Kunst des Weißwurstdopings zu üben.
Letztendlich sind wir, erdgeschichtlich betrachtet, hierzulande allesamt Migranten, denn die Wiege der Menschheit stand nach recht einhelliger Expertenmeinung nicht in Wuppertal oder Villingen-Schwenningen, sondern irgendwo in Afrika. Und selbst theologisch kommt man der Angelegenheit nicht bei, schließlich war ja Adams und Evas Auszug aus dem Paradies eine lupenreine Migration.
Man merkt also: Das Wort "Migrationshintergrund", so inflationär es auch heute benutzt wird, ist ein Produkt höheren Blödsinns, ersonnen offenbar von Menschen mit Klapsmühlenhintergrund. Aber wie der Mensch so ist: Was nicht passt, wird passend gemacht, und wo kein Sinn drin ist, wird einer eingefüllt. Und so losgelöst vom ursprünglichen Zweck ist der Begriff einfach verführerisch praktisch. Jeder kann sich nunmehr von dem Verdacht der Diffamierung oder Beleidigung reinwaschen, weil er nie mehr Worte wie "Gastarbeiter", "Asylant" oder "Ausländer" benutzen muß, vor allem, wenn es sich bei den so Bezeichneten um Inhaber eines deutschen Passes handelt. Man meidet den semantischen Eiertanz, faselt stattdessen einfach irgendwas von "Migration" und wähnt sich auf der politisch korrekten Seite. Zumindest bis sich eines Tages herausstellt, daß auch dieser rhetorische Kunstgriff doch nicht ganz so politically correct war, wie man dachte, und sich irgendein Wortverdreher etwas noch hübsch-häßlicheres ausdenkt.
*) Degirmenci = türkisch: Müller
Sonntag, 31. August 2008
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