Dienstag, 12. Januar 2010

Der weiße Riese

BILD, Zentralorgan aller Hobby-Paranoiker, hat angesichts des angekündigten Tiefs am Wochenende "Die weiße Angst" getitelt. Was bitte soll das denn sein? Gibt es Angst vielleicht auch noch in anderen Farben?

Was ist eigentlich in den letzten 30 Jahren passiert, daß wir von "Schneemann baun und Schneeballschlacht, Winter ist so schön, hat geschneit die ganze Nacht, wir wollen Rodeln gehn", wie wir im Kindergarten noch sungen, scheinbar zu Schnee-Phobikern geworden sind? Wirkt da ein, uns von der Urgroßväter-Generation eingeimpftes, retroaktives Stalingrad-Trauma? Oder sind wir wirklich solche Schisser geworden, die bei der ersten Schneeflocke schon erste Streusalz-Hamsterkäufe tätigen?

Manchmal scheint sich dieser Eindruck zu bestätigen. Die Mehrheit der Deutschen kann offenbar die globale Erwärmung gar nicht erwarten. Allerdings nicht, weil wir pseudo-cool und mit Todesverachtung einfach drüberstehen über dem ganzen Gesumms ums Klima. Sondern weil sich die Deutschen reflexartig kollektiv einstuhlen, sobald die Außentemperatur unter Null sinkt.

Schön zu beobachten ist das in jedem Jahr aufs Neue, wenn es im Dezember oder Januar das erste mal richtig geschneit hat. Dann wird Deutschlandweit das „Schnee-Chaos“ ausgerufen, auch wenn der Schnee gerade mal eine Handbreit hoch liegt. Als läge Deutschland nicht in Mitteleuropa, sondern irgendwo am Äquator, fallen Winterdienste, Verkehrsbetriebe und Autofahrer allgemein alljährlich aus allen Wolken, wenn es im Winter zu schneien beginnt. Wer rechnet denn auch mit sowas.

Vermutlich kommen wir vor lauter Zivilisation nicht damit klar, wenn das Wetter Abwechslung mal uns seine Bedingungen aufdiktiert. Kein Schnee- wir werfen die Schneekanonen an. Kein Regen – wir holen den Gartenschlauch. Zu viel Regen – wir stellen die Scheibenwischer auf höchste Stufe und fahren weiter. Zu wenig Sonne – wir steigen ins Flugzeug nach Gran Canaria. Aber zu viel Schnee – das kriegen wir nicht gebacken. Dabei ist ein Meter Neuschnee doch nichts anderes als die ultimative Aufforderung einer höheren Macht, mal einen Gang zurück zu schalten, den faltigen Hintern zu hause zu lassen und zu warten, bis es vorbei ist. Leider fällt dem sturen, westlichen Menschen dies unsagbar schwer, da er es gewohnt ist, sich bibelgetreu die Erde untertan zu machen.

Gerade durfte eine wintergeplagte Einwohnerin MeckPomms in eine RTL-Kamera gurren, daß das Schlimmste für sie der wetterbedingte, einstündige Stromausfall war. Ein investigativerer oder auch nur gehässigerer Reporter hätte nach dem Warum? gefragt (ich zumindest hätte das getan). Ist etwa die Playstation ausgefallen, kurz vorm Highscore? Mußte sie ganze 60 Minuten lang auf ihren Senseo-Trinkschlamm verzichten?

Der Michel gehört einer Generation an, die noch miterlebt hat, daß es regelmäßig nach Sommergewittern und bei strengen Frösten zu stunden-, mitunter tagelangen Stromausfällen kam. Nicht, daß ich mir diese Zeiten wieder herbeiwünschen würde*. Aber hey: Ich hab es überlebt. Das Unangenehmste, was einem heute bei Stromausfall passieren kann, ist doch, daß man danach eventuell die Uhr am Videorecorder neu programmieren muß (wenn man überhaupt noch einen hat).

Könnten wir also bitte endlich aufhören, uns die hysterischen „more drama“-Denkmuster der Boulevardmagazine zu Eigen zu machen, und mal wieder auf den Teppich kommen?

Schließlich geht es hier nur um gefrorenes Wasser, nix sonst. Und jetzt raus mit euch, Schneemann bauen. Wenigstens einen kleinen.

*) außer vielleicht, um verwöhnten Zivilisationskrüppeln per Zeitreise eine kleine Lektion in Sachen Demut zu erteilen.


PS: München erwägt, zur Bekämpfung des Feinstaubbelastung eine der meist befahreren Durchgangsstraßen, den Mittleren Ring, abschnittweise zu beheizen. Wir wären also willens bzw. dekadent genug, den Straßenbelag zu heizen, schaffen es aber nicht, sämtlichen Obdachlosen dieses Landes während der kalten Jahreszeit ein warmes Plätzchen für die Nacht zu finanzieren?

Was sind die Deutschen doch ab und zu für ein jämmerlicher Haufen...

Keine Kommentare: