Ab und zu bekommt der Michel einen Rappel und hat mal wieder Bock zu bloggen. Meistens, weil ihm irgendwas vor die zu groß geratene Nase flattert, von dem er meint "daraus könnte ich was Witziges machen".
Dabei bleibt's dann meistens auch, weil das Bruchstück der potentiell puppenlustigen Geschichte sich oft genaus so schnell verflüchtigt, wie es sich manifestiert hat. Manchmal besitze ich noch genug Geistesgegenwart, mir irgendeine Notiz zu machen, die ich dann im Handumdrehen an genau dem bombensicheren "bald erledigen"-Platz ablege, an dem ich nie mehr danach suchen werde.
Manchmal bekommt der Michel auch andere Rappel, zum Beispiel wenn's um Musik geht.
Als junger Mensch war mir Musik su-per-wich-tig. Spezialgebiet: Musik oder Musiker entdecken, die außer mir noch keiner kennt. Zumindest niemand in meinem Dunstkreis.
Nie im Leben hätte ich gedacht, dass es mir mal so gehen würde wie all den "bedauernswerten" Altvorderen in meinem sozialen Umfeld, die nur noch "Oldies" hörten und langsam über Deutschrock a la Maffay in Richtung Schlager drifteten, ihre Ohren in Rente schickten, sozusagen.
Ich hatte mir geschworen, immer am Ball zu bleiben und ein Ohr immer auf der Schiene zu lassen, damit der Zug der Zeit mich nicht überrollen kann. Wie man sich doch täuschen kann.
Fakt ist: Kaum mehr als der Mainstream ist heute kaum noch drin. Von Künstlern, die ich früher mal rauf und runter gehört habe, hab ich die Alben der letzten 15 Jahre nicht mal mehr ansatzweise mitbekommen. Manche sind gestorben, manche aufgelöst geglaubte Bands sind längst wiedervereint - wenn man dann doch mal in so ein Musik-Rabbit-Hole stürzt, erlebt man lauter Überraschungen.
Fakt ist: Wenn die bezaubernste Tochter mir mal einen seltenen Einblick in ihr Hör-Universum gewährt und mir dann irgendwelche Million-Dollar-Musik vorstellt, von der ich im Leben noch nie was gehört habe, fall ich regelmäßig vom Glauben ab.
Warum das so ist, dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Ansatz Nr.1: Man wird älter, andere Dinge werden wichtiger, nehmen mehr Zeit in Anspruch. Die einzige Musik, die man noch nebenbei hört, sind die Chart-Dauerschleifen beim Autofahren, eingequetscht zwischen Staumeldung und Saitenbacher-Werbung.
Erklärungsansatz Nr.2: Das Musikangebot wurde gefühlt immer breiiger, beliebiger und austauschbarer, vor allem, was die Top 10 angeht. Ob jetzt gerade Tim Bendzko, Cro oder Wincent Weiß für mich das Licht anlässt oder die Welt rettet, ist doch einigermaßen Wumpe. Wer der Typ im Baseball-Shirt und -Fusselschnurrbart ist, der gerade auf dem Rücksitz eines Sportwagens von drei Ärschen angetwerkt wird, während er davon grummelt, wie er uns alle zuf*ckt mit seinem Geld und Koks - wer will das wissen?
Auch die Helden von einst lassen einen im Stich. Wo man früher noch auf jedes neue Album hingefiebert hat, voller Spannung, womit mir Depeche Mode, Metallica oder Dread Can Dance diesmal wieder den Gehörgang kärchern werden, ist heute nur Redundanz. Kann sein, dass sich die Kreativität der Helden von früher irgendwann auch tot läuft und man nur noch Altbewährtes neu aufkocht. Vielleicht ist das Zeug auch alles tot-produziert und KI-getunt. Der Musik fehlt es an den Ecken und Kanten, die sie früher hatte und die manche Stücke aus dem Einheitsbrei herausgehoben haben, so dass sie 30 Jahre später noch Saiten in mir zum Klingen bringen.
Boah, ich merke grade, dass das hier so in Richtung "früher war alles besser, Oppa erzählt vom Krieg" abdriftet, aber das sollte es gar nicht. Einmal, weil ich wirklich glaube, dass der Popmusik das Rebellische abtrainiert wurde, um in Zeiten des WWW schön skalierbar zu bleiben. Sicher gibt es auch weiterhin die sperrigen Künstler, nur kommen die in unserer algorithmengesteuerten Welt nicht mehr vor, wenn sie nicht nah genug an der eigenen "Bubble" sind, um dann doch mal in irgendeiner "timeline" aufzutauchen.
Andererseits falle ich ja manchmal doch, wie eingangs beschrieben, in ein Hasenloch und wühle mich durch Spotify-Playlists und Wikipedia-Biographien. Ich kann Nina Chuba und Shirin David auseinanderhalten. Ich weiß, dass Linkin Park wieder da sind. Und ich entdecke immer noch Musik, die neu und spannend ist.
Andererseits kenne ich von den Musikstücken und Künstlern, die aktuell die Top10 in Deutschland sind, kein einziges. Hab ich gerade geprüft. Was mich gerade schon ein bißchen schockt, obwohl das gerade hauptsächlich irgendwelche DJ-Wohlfühl-Mucke ist.
Wie mir die bezaubernste Tochter mit ihren zarten 20 plus gerade eröffnet, geht es ihr allerdings ähnlich.Ihrer Ansicht nach werden die aktuellen Charts von 14jährigen dirigiert, die irgendwelche trällernden TikToker und "ich sing jetzt auch"-Influencer hypen.
Eigentlich wollte ich nur eine Kritik zu den letzten Werken von Lisa Gerrard, der Stimme von Dead Can Dance, loswerden. Aber dann hätte ich gerade die längste Musikkritik-Einleitung aller Zeiten geschrieben. Also macht euch selbst ein Bild. Ich hab jetzt fertig.