Dienstag, 28. Oktober 2008

Rätsel Zugluft

Lesern dieser Zeilen seien zwei weitere, sehr lesenswerte Blogs empfohlen: http://usaerklaert.wordpress.com/ und http://nothingforungood.com/.
In beiden dreht es sich auf ziemlich witzige Art und Weise um das bisweilen recht schwierige Verhältnis zwischen Deutschen und US-Amerikanern. Ersterer Blog leistet dabei sehr informativ Grimme-Preis-nominierte Aufklärungsarbeit, in letzterem berichtet der Autor pointiert und sarkastisch über die Fallstricke, die einem "Ami" das Leben in Deutschland schwer machen und die uns Deutschen gar nicht so bewußt sind. I already laughed my ass off.

Beim Herumstöbern ist mir aufgefallen, daß sich bemerkenswerterweise in beiden Blogs Beiträge mit einem Phänomen beschäftigen, das für Deutsche stinknormal, für den Amerikaner aber ein Mysterium ist: Zugluft bzw "sich einen Zug zu holen".
Während das Phänomen "Zug" in den US of A als Krankheitsursache völlig unbekannt ist, hat mir meine Oma schon beigebracht, daß man sich von Zugluft zumindest 3 unangenehme Zipperlein holen kann: einen steifen Hals, ein Gerstenkorn am Auge und natürlich eine Erkältung. Unzählige medizinische Ratgeberseiten und Internetforen beschäftigen sich mit den Gefahren von Zugluft.

Nun ist "Zug" wahrscheinlich nicht die Art Todeshauch, zu der ihn die Paranoia unserer Altvorderen immer gemacht hat. Auch die Erkältung, die ich mir mutmaßlich im Bus geholt habe, kann ich nicht unbedingt eindeutig einem gekippten Fenster in die Schuhe schieben. Vermutlich ist sie eher der Tatsache geschuldet, daß ich im Bus mit ca 50 Personen, von denen die Hälfte schniefte und hustete, auf engstem Raum zusammen gepfercht war. Eventuell geht die zuweilen etwas irrationale Angst vor sich bewegender Luft auf den frühmedizinischen Irrglauben zurück, Krankheiten würden zumeist über Miasmen, üble Ausdünstungen, durch die Luft übertragen.

Aber daß man in den USA tatsächlich noch nie davon gehört hat, finde ich dann doch etwas seltsam. Denn daß die dauerhafte, zugluftbedingte Abkühlung bestimmter Körperregionen Infektionen und Muskelverspannungen zumindest begünstigt scheint medizinisch hinreichend belegt zu sein. Warum also?

Ein Erklärungsversuch.

Ansatz 1: Vor der Ankunft in der Neuen Welt warfen die Einwanderer, die später Amerikaner werden sollten bzw wollten, ihr gesamtes medizinisches Laienwissen über Bord. Nach dem Motto: Neues Leben, neues Land, neue Krankheiten, da nützt mir das Wissen über die alten eh nix mehr. Aus unserer heutigen Sicht typisch amerikanisch, nur das es "typisch amerikanisch" damals noch gar nicht gab.
Die amerikanischen Ureinwohner hingegen hatten zwar 83 verschiedene Ausdrücke für Büffelscheiße, aber nicht eines für Zugluft.

Ansatz 2: Ein kühler Luftzug ist vor allem in den Regionen unerwünscht, wo ein eher gemäßigteres, feuchteres und kühleres Klima herrscht. Wie zB in Mitteleuropa.
Die USA besitzen zwar verschiedene Klimazonen, weite Teile sind aber trotzdem wärmer und trockener als bei uns (zum Vergleich: die Nordgrenze der Staaten - Alaska klammere ich jetzt mal aus - liegt etwa auf demselben Breitengrad wie Frankfurt am Main). Eine "kühle Brise" ist daher evtl. "drüben" weit willkommener als bei uns.

Ansatz 3: "Zug" ist eine Plage, die man sich prinzipiell nur in geschlossenen Räumen* (also in Häusern oder Verkehrsmitteln) holen kann, die nicht hermetisch verriegelbar sind.
In den USA dagegen sind, wie wir alle wissen, alle Häuser und Autos vollkommen luftdicht verschließbar, da sonst die eingebauten Klimaanlagen nicht richtig arbeiten können. Das gilt sogar für die Sperrholzbehausungen, die regelmäßig von Wirbelstürmen aus der Landschaft gepflückt, atomisiert und über die angrenzenden Bundesstaaten verteilt werden.

Ansatz 4: Americans think big. Mit etwas popligem wie Zugluft geben sie sich daher vermutlich gar nicht ab. Von Luftbewegungen wird erst Notiz genommen, wenn die Stars&Stripes in rechtem Winkel vom Flaggenmast abstehen oder der Pick-Up am Wohnzimmerfenster vorbeifliegt (s. auch Ansatz 3).

Ansatz 5: Zug zu bekommen ist unamerikanisch. Chuck Norris hatte noch nie Zug.
Und solange man "Zug" weder mit der Schrotflinte erledigen noch in Flaschen füllen und verkaufen kann, muß man ohnehin damit leben.

Ansatz 6: Wir Deutsche können es ihnen auch nicht erklären. "I caught a train and got a stiff neck from it" hieße frei übersetzt "Ich hab die Eisenbahn erwischt und wurde davon störrisch". Denn es gibt nicht mal ein Wort für "Zug", draft bringt es leider nicht auf den Punkt.

Falls jemandem eine bessere Erklärung einfällt: Kommentare sind stets willkommen.

*) Unter freiem Himmel heißt "Zug" nicht "Zug", sondern "Wind". Wind kann je nach Wetterlage gut oder schlecht sein. Wind in geschlossenen Gebäuden ist dagegen fast immer unerwünscht, es sei denn, man möchte im Wohnzimmer einen Drachen steigen lassen, ohne von der Couch aufzustehen.

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Wind in geschlossenen Gebäuden ist dagegen fast immer unerwünscht, es sei denn, man möchte im Wohnzimmer einen Drachen steigen lassen, ohne von der Couch aufzustehen.

Als US Amerikaner frage ich mich - WIESO?! Wieso, wenn Zugluft angeblich so gefährlich sei, überleben die deutschen z.B. Fahrradfahren?! Und im Winter werden die Fenster aufgerissen ohne Ende, aber WEH ich kriege eine Brise ab in einem überhitzten Zimmer im Sommer

und hierauf: Denn daß die dauerhafte, zugluftbedingte Abkühlung bestimmter Körperregionen Infektionen und Muskelverspannungen zumindest begünstigt scheint medizinisch hinreichend belegt zu sein. Warum also?

JA aber nur in EXTREMFÄLLEN das heißt stundenlang kaltem Wind ausgesetzt zu sein und dann halt auch noch immunschwach zu sein. DAS ist wissenschaftlich belegt. Sonst nichts. Weil es ja auch quatsch ist...

der Michel hat gesagt…

Als D Europäer frage ich mich - WIESO?! antwortet man komplett ironiefrei auf eine offensichtliche Satire?