Montag, 9. März 2009

Im Westen nichts neues

Auf der Suche nach kurzweiliger und interessanter U-Bahn-Lektüre bin ich am Stern Extra 1/2009 hängengeblieben und hab ihn für stolze 6 Euronen erworben.
"60 Jahre Bundesrepublik - eine opulente Zeitreise von 1949-2009" - so der vielversprechende Titel. "Opulent" heißt laut meinem Fremdwörterbuch "üppig, reichhaltig, im Überfluß". Im Überfluß, sollte das vielleicht ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung "überflüssig" sein? Na ja, das ist vielleicht doch ein wenig überkonstruiert.

Das Magazin ist soweit ganz nett. Ich hatte mir interessehalber etwas mehr Hintergrundinfos zu den frühen Jahren der BRD gewünscht, leider blieb das Ganze irgendwie hinter meinen Erwartungen zurück. Stattdessen gab's wieder die ewig gleiche Soße aus Historie "light" und Zeitzeugenzitaten, das fand ich nach den x verschiedenen "Die Geschichte der BRD"- bzw. "...Deutschlands"-Sonderausgaben der letzten Jahre etwas mager. Wenn man dann den 200sten Aufguss desselben Themas abliefert, erwarte ich mir eigentlich etwas mehr Innovation.
Also insgesamt wenig Neues, unterlegt mit einem seltsam unrepräsentativ zusammengewürfelten Zeitstrahl, in dem zwischen "Neues Scheidungsrecht" und "Schleyer entführt" schon mal die Meldung "Boney M ganz oben" zu finden ist.

So richtig geärgert hab ich mich aber über die einseitige Berichterstattung über die parallel verlaufende Geschichte der DDR. Nun heißt das Heft ja streng genommen "60 Jahre BRD", aber man kann ja schlecht die Entwicklung beider Staaten getrennt voneinander betrachten. Das sahen die Herausgeber wohl auch so, daher findet auch immer wieder die Geschichte der DDR Erwähnung. Nur leider ziemlich einseitig.

Wenn man die einschlägigen Reportagen (west)deutscher Magazine studiert, könnte man auf den Gedanken kommen, daß zwischen den Meilensteinen DDR-Staatsgründung, Mauerbau, Prager Frühling und Montagsdemos eigentlich nicht viel passiert ist. Da macht auch die Stern Extra-Ausgabe leider keine Ausnahme. Wer zwischen Adenauer, RAF und Wackersdorf darin auch noch lesen möchte, was den Westdeutschen in der 60er Jahren in die Kinos trieb, welches Auto er in den 70ern fuhr und welche Zukunftsängste ihn in den 80ern am meisten beschäftigten, der wird fündig. Im Osten passierte zur gleichen Zeit scheinbar gar nichts, von den oben genannten Ereignissen mal abgesehen. Das dürften wohl auch die einzigen Geschehnisse sein, die der gemeine Westdeutsche als alleinige und typische DDR-Themen seit Jahrzehnten immer wieder vorgekaut und beigebogen bekommt.

Vertraut man dem Tenor der Reportage, lebten in der DDR offenbar mehrheitlich auch nur 2 Arten von Menschen: SED-Mitglieder bzw. Unterdrücker auf der einen, Dissidenten bzw. Unterdrückte auf der anderen Seite. Dazwischen gab's allerhöchstens eine kleine Grauzone von Leuten, die sich irgendwie so durchmogelten, es sich "in der Diktatur eingerichtet hatten". Auch diese Formulierung wenig schmeichelhaft, mit einem Unterton, der sofort an Prädikate wie "Duckmäuser" oder "Mitläufer" denken läßt.

So sind die einzigen Ostdeutschen, die im Heft auftauchen, folgerichtig 4 Dissidenten, eine Kanzlerin namens Merkel bzw. "Mörkel", wie sie seit der Cebit heißt, und die ehemalige "Aktuelle Kamera"-Nachrichtenvorleserin, die ein wenig den naiven Mitläufer heraushängen lassen darf. Gegenstimmen: keine.

Wenn man sowas liest, könnte man denken, die Mauer stünde noch, und Informationen aus der "Zone" wären noch immer Mangelware, ebenso wie alles andere aus dem Osten. Hier wird ein Schwarz/Weiß-Bild gemalt wie zu Zeiten des Kalten Kriegs: Auf der einen Seite die diabolischen Finsterlinge und ihre Helfershelfer, auf der anderen heldenhafte Widerständler, dazwischen die Verführten, die Feiglinge und die Unentschlossenen. Auf diese bequeme Art und Weise hat man ja in Deutschland schon mal eine Diktatur "aufgearbeitet". "Lord of the Rings", made in Germany. Leider ignoriert diese Sichtweise, daß es nicht nur Nazgul und Ringgefährten gibt, sondern daß die eigentliche Mehrheit aus einer Menge Hobbits, Rohirrim und Gondorianer besteht, die einfach versuchen, sich so gut wie es geht durchzuwurschteln und ihre Kinder groß zu kriegen.

Ich bin weit von jeder DDR-Glorifizierung oder Relativierungsversuchen entfernt und kann die angestaubte Ostalgie zwar ein Stück weit nachvollziehen, aber nicht teilen. Mitunter geht mir die gelegentlich noch aufflackernde Ossi-Jammerei sogar gehörig auf den Senkel. Aber die in der Reportage vorgestellte, erzkonservative, beinah reaktionäre Sicht der Dinge, die hier 20 Jahre nach dem Mauerfall ausgerechnet von einem einst hoch angesehenen Magazin wie dem Stern propagiert wird, stinkt.

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