Montag, 28. September 2009

Denk ich an Deutschland in der Nacht...

Sach ma, Germania: Geht's noch?

Man kann ja über nichts so schön unterschiedlicher Meinung sein wie über Politik, Religion oder Fußball. Aber daß mitten in der größten Wirtschafts- und Finanzkrise der BRD eine FDP mit 14,6% drittstärkste Partei in Deutschland wird, für so bekloppt hätt' ich uns Deutsche dann doch nicht gehalten. Ist da nicht dem ein oder anderen der Gedanke gekommen, daß er damit den Bock zum Gärtner macht? Eine Partei, die ihr neoliberales Gedankengut noch immer vor sich her trägt wie eine wie ein selbst gelegtes, goldenes Ei? Eine Partei, die jahrelang einer antisozial agierenden Managerkaste das Wort geredet und die Wege geebnet hat, soll nun deren (Ver-)Hüter werden? Eine Partei, die angesichts steigender Arbeitslosenzahlen, Konzernpleiten und staatlicher Rettungspakete noch immer die angebliche "Kraft des Marktes" beschwört? Wie lächerlich und gleichzeitig witzlos ist das denn?

Wer ist das überhaupt, die "FDP"?

Einzig ernst zu nehmender Politiker ist der omnipräsente, ehemalige Guidomobil-18-Kasper Westerwelle, der sich - soviel muß man ihm neidlos zugestehen - in den letzten Monaten zum glaubwürdigen, ernsthaften und rhetorisch versierten Volksvertreter gemausert hat. Ob er seine ganzen Versprechungen halten kann, steht auf einem anderen Blatt. Vermutlich eher nicht, wie Spiegel Online in dieser Woche schlüssig vorgerechnet hat. Hat nur scheinbar kein Schwein gelesen.
Ansonsten gibt es noch die Frau Pieper, von der ich lange nix mehr gehört habe, den Herrn Niebel, der mir jedesmal, wenn er den Mund aufmacht, wieder ein Stück unsympathischer wird, des weiteren die zwei Jugendbeauftragten Graf Lambsdorff und Genscher, die "Waldorf und Stadler" der FDP, und Hausgeist Möllemann, der noch immer durch die Katakomben spukt. Ach ja, und natürlich Frau Doppelnamen-Ungetüm, die uns heute folgenden Satz kredenzte (Zitat SpOn): "Wolfgang Schäubles Horrorliste hat kurz vor der Wahl drastisch vor Augen geführt, dass eine starke FDP in einer schwarz-gelben Koalition notwendig ist." Da irrt sich die Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Denn die Liste hat uns allenfalls gezeigt, zu was eine schwarz-gelbe Koalition fähig ist. Ähnlich wie die Guttenberg'sche Giftliste zum Abbau sozialer Errungenschaften. Ich bin mir gaaanz sicher, daß die FDP, seit jeher Feuer und Schwert des "kleinen Mannes", hier brutalstmöglich dazwischengrätschen wird.

Diese Lokalversion der "gelben Gefahr" soll also unserem Ländle den Aufschwung bringen. Glauben die Deutschen denn wirklich immer noch den ollen Schmus von der sozialen Marktwirtschaft? Wann war die denn das letzte Mal sozial? Da war Brandt noch Kanzler, oder? Wenn denn tatsächlich das soziale Gefüge unseres materialistischen Gesellschaftsentwurfs sooo gut funktioniert, warum jammern dann eigentlich immer alle Beteiligten, über Dumpinglöhne und Hartz4, unsichere Renten und Zweiklassenmedizin, mangelnde Investitionen in Bildung, den Ausbau des Überwachungsstaats, die gesellschaftliche "Schere" und, und, und? Ich hoffe, es stehen handfestere Gründe hinter dem Ausgang dieser Wahl als der bloße Glaube an das FDP-Märchen von "Mehr Bretto vom Nutto" (Volker Pispers) .

Wieso setzen die Deutschen angesichts all dieser Mißstände ausgerechnet auf FDP und CDU? Auf die Frau Merkel, die lt. Spiegel Online heute den denkwürdigen Halbsatz hinausposaunte "...wir haben es geschafft, unser Wahlziel zu erreichen." Welches denn, Frau Merkel? Etwa Kandesbunzlerin zu bleiben? Wie selbstlos...
Und wie als hätten Sie meine Frage schon vorausgeahnt, antworten Sie auch schon: "Ich möchte die Bundeskanzlerin aller Deutschen werden, damit es uns allen besser geht, gerade in einer solchen Krise".

Erstens sind Sie bereits Bundeskanzlerin aller Deutschen. (Oder betrachten Sie sich derzeit nur als Bundeskanzlerin eines bestimmten Teils der Bevölkerung? Das würde natürlich einiges erklären...). Zweitens geht es Deutschland noch nicht automatisch besser, nur weil Sie Kanzlerin sind. Den Beweis für diese These stehen Sie in steter Verkörperung des "Nichts sehen-nichts hören-nichts sagen"-Prinzips noch aus.

Wie üblich waren Sie ja mal wieder mit konkreten Zielsetzungen im Wahlkampf recht geizig und standen deswegen auch in allgemeiner Kritik. Getreu dem Grundsatz: Wer keine Versprechungen macht, muß auch keine einhalten. Einzig, daß sie unbedingt was mit der FDP, auf keinen Fall aber nochmal was mit der SPD machen wollen und daß sie Mindestlöhne irgendwie nicht so gut, Atomenergie aber eigentlich ganz okay finden, ließen Sie die Wähler wissen.

Jetzt endlich, nach dem Wahlsieg, werden sie mal endlich so richtig konkret, was ihre wahre Mission angeht. Danke dafür: "Es sind viele Probleme zu lösen in diesem Land. Unser Anspruch heißt: Wir wollen Volkspartei bleiben, auch im 21. Jahrhundert. Daran wollen wir weiter arbeiten." Mit anderen Worten: Während es eigentlich viele Probleme anzupacken gilt, werden Sie Ihre Kräfte vornehmlich darauf konzentrieren, Volkspartei zu bleiben. Richtig?

Alle Achtung. Das nenne ich mal eine Vision. So viel gestalterischen Willen, eine solch regelrechte Reformwut hatte ich Ihnen gar nicht zugetraut.
Denn auf Teufel komm raus Volkspartei bleiben zu wollen heißt doch einfach nur: Viel versprechen, nirgendwo anecken, keinem weh tun, Unangenehmes verschieben, aussitzen oder im stillen Kämmerlein abhandeln. Also mithin dieselbe Tour, die wir schon die letzten paar Jahre von ihnen erleben durften. Weitgehender Stillstand, allenfalls ein wenig stop-and-go hie und da. Großartig.

Wenn ich da mal einen Schriftsteller des vorletzten Jahrhunderts zitieren darf: "In einem wankenden Schiff fällt um, wer stillesteht, nicht wer sich bewegt."

Vielleicht haben die Deutschen wiedermal nur das "kleinere Übel" gewählt. Oder die Parteienvariante, bei der man sich keine falschen Hoffnungen macht. Weil schon vorher mit 99%iger Sicherheit weiß, daß man von dieser Koalition ohnehin nicht viel zu erwarten hat. Wer keine hohen Erwartungen hat, kann nicht enttäuscht werden. Was ja auch eine Lebenseinstellung ist, wenn auch keine besonders optimistische.

Nichtsdestotrotz, wie das so ist mit Unkenrufen: Entweder es wird nur halb so schlimm, wie befürchtet, oder mindestens doppelt so schrecklich wie prophezeit. Man darf gespannt sein. Ich hoffe auf ersteres. Aber ich bleibe skeptisch...


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