Mittwoch, 7. Oktober 2009

Leer gsuffa!

Nach all den ganzen Schreckensmeldungen der letzten Tage gibt es endlich auch mal wieder etwas positives zu vermelden: Die Wiesn ist endlich vorbei. Oder, für Nordlichter: Das Oktoberfest.

Daß der Michel kein großer Freund der Wiesn ist, dürften aufmerksame Leser ja bereits mitbekommen haben.
Der Grund dafür ist schnell erklärt: Ich mag keine Events, bei denen es primär darum geht, daß sich Massen von Menschen möglichst schnell möglichst viel Alkohol in die Denkblase zu schütten. Nun ist es mir ja herzlich egal, auf welche Art und Weise jemand seine Synapsen um die Ecke bringt, solange er mich nicht an den Auswüchsen seines Tuns teilhaben läßt. Letzteres tut aber der durchschnittliche Oktoberfestbesucher, wie man sich entweder live vor Ort oder in einer der zahlreichen TV-Reportagen überzeugen kann. Bzw. seit diesem Jahr nicht mehr kann, denn die Wiesnwirte haben qua Hausrecht Negativ-Berichterstattung untersagt.

So torkeln, pinkeln und grabschen sich jedes Jahr ganze Hundertschaften berauschter Drogenopfer quer durch das größte Dorf, Deutsche und Touristen, Teenies und Rentner, Lederbehoste oder ganz normale Irre. Rund um die Theresienwiese riecht es auch eine Woche nach Beendigung des Massendeliriums in allen Ecken nach Urin und Erbrochenem. Es sei denn, eine gnädige Regenfront spült das Elend vorfristig in die Kanalisation.

Spaß macht das Oktoberfest eigentlich nur Hardcore-Fans (von denen es allerdings eine Menge gibt) und Touristen. Letztere sind dabei beinah gezwungen, die Fun-Schraube bis zum Anschlag zu drehen. Schließlich haben nicht wenige von ihnen ein ganzes Jahr darauf gespart, um sich die weite Reise nach München und die erheblichen Kosten, die ein Wiesn-Besuch nun mal so mit sich bringt, überhaupt leisten zu können. Und jedes Jahr bezahlen ein paar von ihnen mit dem Leben, weil sie im Vollsuff vor die S-Bahn gelatscht oder in einem vermeintlich harmlosen Seitenarm der Isar ersoffen sind. Den Vogel hat in diesem Jahr ein Brite abgeschossen, der beim Aus-dem-Fenster-Pinkeln aus dem sechsten Stock seines Hotel gestürzt war und morgens tot mit heruntergelassener Hose im Hinterhof lag. Was für eine grotesk beschissene Art abzutreten, anders kann man das leider nicht ausdrücken.

Wiesn-Fans führen dazu immer ins Feld, daß das ganze ja ein "Volksfest" sei, daß man ja nicht trinken "müsse" usw.
Alles völliger Quatsch. Was am Anfang mal ein Pferderennen war, ist heute eines der größten Massenbesäufnisse der Welt, wenn nicht das größte. Sicher: Es gibt die Fahrgeschäftstraße, wo Besucher in diversen Höllenmaschinen die Belastbarkeit ihres Verdauungstrakts testen, unschuldige Plasteröhrchen erschießen und alberne Hüte kaufen können. Nur täuschen diese ganzen Attraktionen nichtdarüber hinweg, daß sich in erster Linie alles um die Vernichtung des extra für das Fest gebrauten, flüssigen Brotes dreht. Das beginnt mit dem sich jährlich im Vorfeld der Wiesn wiederholenden empörten Lamento über den gestiegenen Preis für eine Maß (für die volksfestrelevanten Preise für eine Runde auf dem Riesenrad interessiert sich kein Aas) und endet nach der Wiesn mit den lauthals hinausposaunten Rekordverkaufszahlen für Bier, Hendl und Brezn.
Und seien wir mal ehrlich: Die ganzen Italiener, Australier, Amerikaner und anderen Touris fahren und fliegen doch nicht Tausende Kilometer, um mal wieder richtig Kettenkarussell zu fahren, oder? Wie heißen die Wiesn im anglophonen Ausland doch gleich noch, "Bierfest"?

'Na, Michel, alter Miesmacher', werdet ihr jetzt sagen,'wenn doch alles so schrecklich ist, warum fahren dann jedes Jahr so viele Leute dorthin und haben auch noch Spaß dabei?'

Ehrlich gesagt, ich weiß es auch nicht. Es muß wohl etwas Großartiges sein, den Daheimgebliebenen zu erzählen, daß man "auf der Wiesn" war. Dabeisein ist alles. Auch wenn man eigentlich nichts anderes gemacht hat, als sich für ein Heidengeld ins Koma zu saufen und anschließend die Nacht schnarchend in einem Buswartehäuschen verbracht hat, Arm in Arm mit einem Hafenarbeiter aus Palermo. Zumindest hat man zuhause etwas zu erzählen - wenn man sich traut und die peinlichen Geschichten erst auspackt, wenn die Kinder im Bett sind. Offenbar haben eine Menge Menschen Freude daran, sich und ihresgleichen beim Degenerieren zuzuschauen, denn anders sind die Verhältnisse in einem der riesigen Bierzelte nicht zu ertragen. Zum unterhalten ist es zu laut, zum tanzen zu eng, und auch die infantilen Wiesn-Hits mag man erst so richtig herzhaft mitgröhlen, wenn man sich schon ordentlich einen unter die Fontanelle gezwiebelt hat. Man hat nur eine Wahl: entweder man markiert den Spielverderber und verschwindet fluchtartig, oder man schnappt sich eine Maß Bier (auf's Wechselgeld verzichtet man besser gleich, sonst gibt's keine zweite), stellt sich auf den Tisch und brüllt der hackenstrammen Dirndlträgerin nebenan "Ein Prooosit, ein Pro-ho-sit..." in den Ausschnitt. Schüchterne Akademiker verwandeln sich unter Bierzelt-Bedingungen innerhalb von dreißig Minuten in grunzende Primaten, was unter anthropologischen Gesichtspunkten zumindest faszinierend mit anzuschauen ist. Haben muß ich es trotzdem nicht, der tatsächliche Unterhaltungswert ist dann doch eher fragwürdig.

Warum also pilgern trotzdem jedes Jahr Millionen von Leuten zum Oktoberfest?
Wegen der Fahrgeschäfte wohl kaum. Die sind zwar groß und mannigfaltig, stehen aber dieselben Schausteller auf einem stinknormalen Rummelplatz, sind ihre Geschäfte eher mau besucht.
Wegen des Biers? Das ist zwar stark und süffig, aber auch unverschämt teuer. Man könnte selbiges also ohne weiteres auch gemütlich im Biergarten genießen.
Wegen der weltberühmten "Gemütlichkeit"? Wer das behauptet, hat sich vermutlich noch nie mit 5000 schwitzenden, krakeelenden Zechern ein verqualmtes Bierzelt geteilt.
Wegen der enormen Verfügbarkeit äthylisch enthemmter Sexualpartner? Schon eher. Nichts dürfte jemanden, der sonst nie "eine(n) abkriegt", derartig elektrisieren wie die Entdeckung, daß es auf der Wiesn jede Menge paarungswillige Freudenspender(innen) gibt, die mit dem "Sich-jemanden-schön-saufen" schon mal angefangen haben, ohne daß man selbst dafür löhnen mußte. Obwohl es durchaus seine Schattenseiten hat, wenn der jeweilige One-Night-Stand während des Geschlechtsakts in die Yucca-Palme kotzt, nur weil ihm oder ihr von dem Herumgeruckel übel geworden ist. Und jeden Morgen neben einer neuen Vogelscheuche aufzuwachen verliert in nüchternem Zustand auch schnell seinen Reiz. Zumindest findet man so aber schnell einen Grund, um weiterzusaufen.

Vermutlich ist es ein bißchen von allem, was den Flair des Oktoberfestes ausmacht. Nix für den Michel. Mir reicht es schon, wenn ich wegen der dauernden Verspätungen zur Wiesnzeit jedes Mal eine U-Bahn früher nehmen muß, um pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen.

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