Samstag, 17. Oktober 2009

Warum sich "Henkel" auf "Senkel" reimt

Der Michel ist nicht eben ein Freund neokonservativer, wirtschaftsliberaler Positionen. Grund dafür ist hauptsächlich die (a)soziale Kaltschnäuzigkeit, die diese Wirtschaftsauffassung begleitet. In meiner Auffassung haben Unternehmen neben ihrem wirtschaftlichen Selbstzweck, Gewinne zu erzielen, auch eine sozialethische Verantwortung innerhalb einer Volkswirtschaft. Diese beschränkt sich nicht nur darauf, Gehälter und Steuern zu zahlen, sondern beinhaltet auch die Pflege und Stärkung des Gemeinwohls. Schon Spidermans Onkel Ben wußte: "Aus großer Kraft folgt große Verantwortung."
Das fängt schon damit an, daß Unternehmer, Geschäftsführer und Aufsichtsräte nicht vergessen, daß die Beschäftigten mehr sind als Kostenstellen, Kostenverursacher und "Humanressourcen", sondern Menschen, die gleichsam Kapital und Potential eines Unternehmens darstellen. Menschen, die Familien haben, die schlafen und essen müssen, die nach Anerkennung und Bestätigung im Job suchen. Menschen, die nicht zuletzt auch Konsumenten sind.
Leider haben viele "Chefs" das vergessen, interessant und vielfach bestätigt nachzulesen z.B. in "Rache am Chef" von Susanne Reinker. Vielleicht plaudert auch der Michel mal zu gegebener Zeit zu diesem Thema noch etwas aus dem Nähkästchen...

Ein Vertreter der Wirtschaftliberalen, dem ich in herzlicher Abneigung verbunden bin und der immer wieder in Talkshows auftauchen darf, um dort mit knarzigem, hanseatischem Zungenschlag seine Thesen in die Welt hinaus zu posaunen, ist Hans-Olaf Henkel. So auch diese Woche bei Maybrit Illner im ZDF, Thema "Wer nicht spurt, fliegt raus". Henkel war auch diesmal wieder angetreten, das ewige Mantra vom bösen Kündigungsschutz anzustimmen. Seine These, frei und grob zusammengefaßt: "Die deutschen Kündigungsschutzregelungen verhindern Neueinstellungen, weil Arbeitgeber Angst davor haben, einmal eingestellte Mitarbeiter nie wieder loszuwerden. Andere Länder haben viele weniger oder keine Regelungen, und denen geht es deshalb x-fach besser als uns." Beispielgebend nannte er dafür u.a. Dänemark und Schweiz, die wahre Inseln der Glücksseligkeit sein müssen, und berief sich dabei offenbar auf diesen Bericht einer BDA*-Kommission. Danach führt der liberale dänische Kündigungsschutz dazu, daß Arbeitsplätze sicherer sind, Arbeitslose im Durchschnitt nach 4 Wochen einen neuen Job finden und viel, viel glücklicher sind als die Deutschen.

Unabhängig davon, daß man bei zwei verschiedenen Volkswirtschaften meist Äpfel mit Birnen vergleicht, hat der Herr Henkel mit dieser Momentaufnahme zunächst erst einmal Recht. Leider unterschlägt er dabei, daß z.B.

- dänische Kündigungsschutzregelungen eine lange Tradition haben (genau wie deutsche) und auch schon in annähernd gleicher Form Bestand hatten, als es Dänemark noch weit nicht so gut ging wie heute,
- der Kündigungsschutz durchaus umfassenden Regularien unterliegt, nur sind diese eben nicht staatlich, sondern tarifvertraglich festgelegt, auch dies hat historische Gründe,
- eine Vielzahl von Reformen des dänischen Arbeitsmarktes zu den gepriesenen Verhältnissen geführt hat und mitnichten in gravierender Form auf den liberalen Kündigungsschutz zurückzuführen sind,
- es bei einer Arbeitslosenquote von 2,9% selbstverständlich viel einfacher ist, einen neuen Job zu finden. Zudem beträgt in Dänemark das Arbeitslosengeld bis zu 90% des letzten Einkommens. Dafür investieren die Dänen auch viel in Qualifizierungs- und Arbeitsvermittlungsmaßnahmen, zum Preis höherer Steuern. Hohe Steuern - ein anderes rotes Tuch der Wirtschaftliberalen.

Nachzulesen ist das nicht nur hier, sondern auch hier. Sogar der recht tendenziöse BDA-Bericht kommt letztlich zu dem Schluß, daß sich das Modell Dänemark nicht einfach auf deutsche Verhältnisse übertragen läßt.

Selbstverständlich blieben die Thesen von Herrn Henkel nicht unwidersprochen. Nicht nur, daß sich ein Unternehmer zu Wort meldete, der bestätigte, daß die heutigen Möglichkeiten von Probezeit, befristeten Verträgen, Saisonkräften usw. bereits völlig ausreichten, um genügend Flexibilität zu gewährleisten. Günter Wallraff ging noch weitzer und stellte fest, daß der Kündigungsschutz durch Niedriglohn-Beschäftigungsverhältnisse, unbezahltes Praktikantentum usw ohnehin schon soweit aufgeweicht sei, daß es immer weniger sichere Vollzeitjobs gäbe. Seinen weiteren Ausführungen, daß es z.B in Skandinavien höhere Löhne gäbe, widersprach Henkel vehement**. Dies gipfelte schließlich in der reichlich arroganten Zurechtweisung Henkels, Wallraff solle doch bei seinen Leisten bleiben, er hätte zwar Ahnung davon, sich zu verkleiden, aber keine von Wirtschaft.
Nun kann man ja von Wallraff halten, was man will, aber der Mann geht dahin, wo's weh tut. Dies erwiderte er dann sinngemäß auch und bescheinigte wiederum Henkel, daß dieser von seinem Chefsessel aus den Blick für die Realität der Arbeitnehmer verloren habe. Daraufhin entblödete sich Henkel tatsächlich nicht sich damit zu brüsten, er habe sein Leben lang in Betrieben gearbeitet und als Lehrling mit 56 Mark angefangen.

Leisten wir uns einen Blick in die Biographie Henkels bei wikipedia.de. Geboren 1940, dürfte er seine Lehre ungefähr 1956 absolviert haben, nur, um mal die Relationen zu verdeutlichen. Damals waren 56 Mark zwar auch kein Vermögen, sechs Jahre später aber saß Henkel bereits bei IBM im Management, und von da an ging es stetig Berg auf. Meinen Respekt, wenn er sich stetig und mit Fleiß hochgearbeitet hat. Aber er möge doch bitte nicht behaupten, er wisse, wie sich heute die Lebensrealitäten "an der Basis" gestalten. Der Mann sitzt heute in sieben verschiedenen Aufsichtsräten! Da fragt man sich doch unwillkürlich, was man als Aufsichtsrat eigentlich den ganzen Tag so für sein Geld tut...

Wie auch immer: Die sympathische Frau Illner wäre gut beraten, wenn sie die in ihrer Sendung geäußerten Behauptungen ebenfalls einem "Faktencheck" á la "Hart, aber fair" unterziehen würde. Nur so trägt eine Talkshow auch zur objektiven Meinungsbildung bei und verharrt im Zweifel nicht auf der am glaubwürdigsten vorgetragenen Halbwahrheit.

Den Vogel hat aber eine Wortmeldung im Forum von telepolis.de abgeschossen. Im Anschluß an einen Beitrag zur gleichen Talksendung heißt es dort: "Wenn der Kündigungsschutz zuverlässig dafür sorgt, dass Chefs ihren Angestellten nachstellen müssen um ihnen irgendwelche Bagatelldelikte vorwerfen zu können, damit sie dann entlassen werden dürfen, dann ist das schlicht asozial." Mit anderen Worten: Wer seine Haustür abschließt, ist Schuld daran, daß sich Einbrecher andere Wege in die Wohnung suchen müssen.
Da hat wohl jemand die Zusammenhänge nicht wirklich verstanden.

Meiner unmaßgeblichen Meinung nach sollte ein Arbeitgeber, der sich bei der Einstellung eines Mitarbeiters bereits Gedanken darüber macht, wie er den Neueingestellten schnell wieder los wird, den Job vielleicht jemand anderem überlassen.

Wer sich im übrigen noch weiter für das Thema "Pro und Contra Kündigungsschutz und Liberalisierung" interessiert, dem sei folgende Arbeit der Hans-Böckler-Stiftung empfohlen, Titel "Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen - Wahrnehmung und Wirklichkeit". Hier werden die Argumente der Liberalisierer einmal einer kritischen Analyse unterzogen.

*) BDA = Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
**) Zu Unrecht. Wahr ist, daß Deutschland in puncto Lohnentwicklung und Reallöhnen sogar dem restlichen Euopa hinterherhinkt.

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