Dienstag, 10. November 2009

Blick zurück

Eigentlich sollte hier ein anderer Beitrag stehen, aber nach Edes wunderbarer Retrospektive kann ich nicht einfach schnöde abseits stehen und den Mauerfall gänzlich unkommentiert lassen. So, wie ich es eigentlich geplant hatte, denn gerade in den letzten Tagen ist zu diesem Thema schon viel zuviel und viel zuviel Unsinn gesagt und geschrieben worden, so daß ich zu dem Schluß kam, jedes weitere Wort würde die Verwirrung und den Überdruß nur vergrößern.

Wie man sich irren kann. Chapeau, mon ami!

In der Tat ist es so, daß auch ich mich nicht erinnern kann, was ich an jenem denkwürdigen Abend gemacht habe. Vermutlich haben wir Deutschen gegenüber den Amerikanern erheblichen Nachholebedarf, was das historische Gedächtnis betrifft. Denn die können sich angeblich alle haarklein erinnern, was sie gerade gemacht haben, als JFK erschossen wurde oder als die Flugzeuge in die Twin Towers krachten. Vermutlich können sich einige sogar erinnern, was der Ururgroßvater auf der Mayflower zum Mittag hatte...

Kann aber auch sein, daß wir Deutschen als Meister der Verdrängung, die wir geworden sind oder vielleicht schon immer waren, es uns selbst nicht eingestehen können, daß wir irgendetwas total Profanes getan haben, während anderswo Landsleute Geschichte schrieben.

Viel wahrscheinlicher aber ist dies: Die Zeit, bevor der erste "Mauerspecht" sein Hämmerchen schwang, war so derartig euphorisierend, daß so ein fernes, unwirkliches Ereignis wie der Fall der Mauer vor der Kulisse weit greifbarer und doch unbegreiflicher Veränderungen unterging. Nachdem man ohnehin kaum glauben konnte, was in diesen Tagen eigentlich geschah, nachdem die Geschichte jeden Tag neue, undenkbare Wendungen nahm, stand man als stino Zoni sowieso permanent unter Strom. Gleichzeitig mischte sich ebenfalls eine gewisse Skepsis unter zwischen all die elektrisierenden Momente.
Im Rausch des kollektiven Erregungszustands war der Fall der Mauer nur eines unter vielen unfaßbaren Ereignissen. Tagtäglich zerbröselten Institutionen, Ämter und Personen, vor denen man sich gerade noch geduckt hatte, unter dem Druck des gemeinschaftlichen öffentlichen Aufbegehrens. Als dann die Mauer fiel, war das irgendwie in dem Moment nur logische Folge all dessen, was dem voraus gegangen war. Dementsprechend ist meine Wahrnehmung des Ereignisses in meiner Erinnerung eher von einer gewissen Nüchternheit, "abgehakt", sozusagen. Die wahren Konsequenzen, die volle Tragweite diese Ereignisses habe ich, glaube ich, erst Monate später erfaßt. Vielleicht hätte man unmittelbar dabei sein müssen. Aber Berlin ist schon vor der "Wende" immer sehr weit weg gewesen...

Auch ich kann mich noch gut an unsere erste Fahrt über die Grenze erinnern. Es war arschkalt, der unwirkliche Moment des Grenzübertrtitts ging unerwartet unspektakulär von statten, und plötzlich war man im Westen. Dort war es - wenig überraschend - genauso kalt wie auf der anderen Seite der Grenze. Wenige Kilometer nach der Grenze empfing uns eine westdeutsche Dame mit dampfendem Kaffee und Kartons voller tiefgekühlter Bananen. Gut erinnern kann ich mich noch an deren leicht angesäuerte Miene, als ich die erwartungsvoll dargebotene Banane dankend ablehnte (ich war damals schon kein Bananen-Fan, dafür ein verspätetes "Sorry" in Richtung der unbekannten Spenderin). Ich erinnere mich, daß ich mir damals das erste Mal ein bißchen vorkam wie ein Fabeltier, dem von neugierigen Menageriebesuchern Leckerlis durch die Gitterstäbe gesteckt werden. Aber vermutlich haben wir für viele Westler auch gewirkt wie Neandertaler, die nach 50.000 Jahren in einem Eisblock in unsere Welt getaut werden und stumm und staunend die blinkenden Leuchtreklamen betrachten.

Ich weiß auch noch, wie wir peinlicherweise ein paar vorbeilaufende Jugendliche um ein paar antike Bravos anbettelten, die jene gerade in Vorbereitung einer 70er-Jahre -Party (was wir Landeier damals für einen total verrückten und absolut dekadenten Einfall hielten) in Partykellerdeko verwandeln wollten. Ich erinnere mich ebenso, wie wir uns zu vorgerückter Stunde trotz knurrender Mägen nicht trauten, die knappen D-Mark für so etwas profanes wie Essen auszugeben. Ich weiß noch, wie ich mir dann doch einen Heidelbeerjoghurt leistete, den ich zwar wirklich lecker fand, der aber meinen Hunger eher noch befeuerte als stillte.


So ist das mit mit historischen Ereignissen und der Erinnerung daran: Am Ende merkt man sich doch wieder nur, was es zu essen gab.

2 Kommentare:

Ede hat gesagt…

an die BRAVO Geschichte erinnere ich mich gar nicht mehr und an die 70iger Jahre Party Typen auch nicht. an den Joghurt erinnere ich mich aber...welche Geldverschwendung 40 Pfenning einfach für den Zylinder ;-)

ich musste einfach was schreiben, ich hatte nen Scheißtag und kam nach Hause und Tommy Gottschalk stand vor dem Brandenburger Tor und die Dinger sind umgekippt. Erst dachte ich...eyh hab ich jetzt am Samstag gearbeitet und es nicht gemerkt oder warum läuft heute "Wetten Dass" vor dem Brandenburger Tor und dann kam es mir brandheiss...das war heute? nachgeschaut ob du schon was geschrieben hast und dachte mir nö, wenn er was dagegen hat kann er es ja löschen ;-)

der Michel hat gesagt…

Den Teufel werd' ich tun und deine (ohnehin seltenen) Beiträge löschen!

Ich glaub', es hackt! :o)

Das Remake mit Gottschalk hab ich nicht gesehen, ich war schließlich (beinahe) beim Original dabei ;-). Muß aber ganz, ganz großes Tennis gewesen sein, was man so liest...