Samstag, 31. Oktober 2009

Feuer, Sand und Jesuslatschen

Der Michel hat sich gestern in der Olympia-Halle "Ben Hur - live!" angeschaut. (Ich freu mich schon auf die ganzen Kranken mit ihren Google-Queries für "Live-Huren", die deswegen auf diesem Blog landen werden. Hähä - recht geschieht's euch!)

Urteil: Bombastisches, aufwändiges-Spektakel mit leichten Abstrichen in der B-Note.

Ich gehe mal davon aus, daß die meisten Leser den Film kennen. Natürlich die Fassung von 1959 mit Charlton Heston, auf die sich auch diese Neubearbeitung deutlich erkennbar bezieht. Daher halte ich mich mal mit allgemeinen Inhaltsangaben zurück, die Story dürfte ja bekannt sein.

Es fällt allein schon schwer, die Aufführung hinsichtlich des Genres mit einer nicht allzu sperrigen Kategorisierung zu versehen. Schon im Vorfeld mit allerlei Superlativen ausgestattet, präsentieren uns die Macher ein perfekt inszeniertes, bisweilen recht effekthascherisches Action-Musical. Aber der Reihe nach.

Zu Anfang wird der Zuschauer auf die quirligen Straßen Jerusalems entführt, wo sich Dutzende Gaukler, Händler und Schaulustige tummeln, daß man gar nicht weiß, wo man zuerst hinschauen soll. Dabei projiziert die Beleuchtung holpriges Straßenpflaster in den Arenasand, vier riesige Wagen mit Aufbauten, die von den Darstellern bei jedem Szenewechsel durch die Arena gekarrt werden, stellen Häuserfassaden dar, auf denen sich ebenfalls Darsteller tummeln. Inmitten des wilden Treibens die Freunde Judah Ben Hur und Messala, die ein bißchen durch die Gegend galoppeln, feiern und auch sonst guter Dinge sind, bis Messala nach West Point Rom muß. Zwischendurch kündigt sich schonmal der sich anbahnende Konflikt zwischen Römern und Juden an, wenn eine Abordnung römischer Soldaten durch die Arena marschiert und mit Waffengewalt eine Mini-Revolte auflöst. Das ganze Szenario gestaltet sich recht bombastisch, überall in der recht großen Arena passiert irgend etwas. Begleitet wird das Ganze von einem stimmigen Score, großartigen Beleuchtungseffekten und Ben Becker, der als "der Erzähler" mal vor, mal hinter den Kulissen die Geschehnisse für den Zuschauer kommentiert, denn die überschaubaren Dialoge werden in Latein und Aramäisch abgehalten. Was ich im übrigen für ziemlichen Blödsinn halte, auch wenn man sich damit geschickt aus der Übersetzungs-Affäre zieht (man ist ja auf Europa-Tournee). Denn es verleiht der Darbietung, die zwar hinsichtlich Ausstattung und Kostüm um Athentizität bemüht ist, bei der aber auch bei vielen Tätigkeiten (essen, trinken, kämpfen) für alle sichtbar operettenhaft "nur so getan wird", auch nicht mehr Authentizität. Da wehte dann ein Hauch Mel Gibson durch das Skript...
Becker, angetan mit schwarzem Anzug und Melone, der klassischen Ben-Becker-"ich gehör nicht in dieses Jahrhundert"-Montur, stolziert als Erzähler immer mal wieder mit der ihm eigenen Selbstverliebtheit zwischen den Protagonisten herum. Obwohl er aufgrund seiner hervorragenden Stimme natürlich für diese Rolle prädestiniert ist und ihm sein völlig deplaziertes Outfit eine natürliche Distanz zum Rest des Treibens verleiht, sind seine Auftritte aufgrund der Klamotte einigermaßen bizarr. Meinetwegen hätte er auch gar nicht zu sehen sein müssen, so, wie sich das für einen klassischen Erzähler auch gehört hätte.

Zurück zur Handlung. Ein paar Jahre gehen - unsichtbar für den Zuschauer - vorbei, irgendwann ist Messala wieder da. Und es kristallisiert sich heraus, daß er ein karrieregeiler Wicht ist, der im Rahmen des angeblichen Attentats auf den neuen römischen Statthalter mit seinem alten Freund Judah bricht, selbigen auf die Galeeren und seine Familie in den Kerker schickt. Im folgenden kommt es zur ersten Begegnung zwischen Judah und Jesus Christus, in der letzterer ersterem verbotenerweise Wasser gibt, im Film eine Schlüsselszene. Auch hier wird die Szene beinah 1:1 umgesetzt und von Becker entsprechend kommentiert - für den Unkundigen wichtig, für Kenner des Films überflüssig und beinah störend. Ruck-zuck landet Judah im Verlauf auf den Galeeren. Hier haben erneut die Techniker, die ich ohnehin für die heimlichen Stars der Inszenierung halte, wieder zugeschlagen und zwei riesige Gestelle auf Rollen kreiert, die sich vor den Augen des staunenden Publikums in stilisierte römische Kriegsgaleeren verwandeln. Während diese mühevoll von Dutzenden Sklaven-Statisten, unter ihnen Judah Ben Hur, durch das Oval der Arena geschoben werden, bricht auch schon die Seeschlacht los. Und die ist mal richtig lustig. Die Macher müssen sich wohl überlegt haben, wie man das Tempo und die Action einer (filmischen) Seeschlacht in eine Arena transportiert, die mit zwei Schiffsattrappen ohnehin schon gut gefüllt ist. Und sind darauf verfallen, die angreifenden Piraten auf 8-10 schwarzen Buggies einreiten zulassen. Auf denen umkreisen sie dann Fackel und Schwert schwingend die beiden großen Schiffe und wirbeln ganz nebenbei auch den Kunstnebel wunderbar auf, der die inzwischen in Fackelschein getauchte Olympiahalle durchwabert. Eine geniale Idee, denn obwohl diese wildgewordenen Rasenmäher natürlich faktisch nicht ins historische Bild passen, vermitteln sie doch glaubhaft den Eindruck eines wilden Kampfes von Mad Max'schen Dimensionen. Die Zuschauer gestern zumindest waren hoch amüsiert.

Alles weitere ist kurz erzählt. Judah rettet den römischen Befehlshaber, einmal während der Schlacht, ein zweites mal vor dem Selbstmord. Dieser nimmt ihn daraufhin an Sohnes Statt in sein Haus auf, Judah wird Römer. Nebenbei nährt er seinen Hass und seine Rachegelüste auf Messala.
Damit endet die erste Stunde des Spektakels.

Nach 20 Minuten geht es weiter. Der Beginn ist etwas hektisch. Zunächst werden wir Zeuge einer stilisierten, mit akrobatischen Einlagen gespickten römischen Orgie Messala's, auf deren Höhepunkt Judah als Überraschungsgast auftaucht und zu wissen fordert, was aus seiner Mutter und Schwester wurde. Danach werden schnell Kulissen verschoben, Messala sucht die totgeglaubten Frauen im Gefängnis auf, entdeckt, daß sie Lepra haben und läßt sie vertreiben. Schon wieder werden hektisch Kulissen verschoben, die Szene verwandelt sich in eine Oase, wo Scheich Ilderim einen Wagenlenker für sein Pferdegespann sucht und sich den zufällig des Weges kommenden Judah dafür auskuckt, weil der sich so gut mit Pferden auskennt. Zum ersten Mal bekommt das Publikum einen Vorgeschmack auf das legendäre Wagenrennen, wenn das schneeweiße Vierergespann in beeindruckendem Tempo durch die Arena rast. Daß im nächsten Moment völlig unpassender Weise ein Dreikäsehoch mit einem von Shetlandponys gezogenen Streitwägelchen eine Runde durch die Halle dreht und wieder verschwindet, irritiert zwar, stört aber nicht weiter. Wie ich gelesen haben, handelt es sich dabei um den Sohn des Pferdetrainers. Man kann sich drüber streiten, ob das jetzt wirklich sein mußte.
Wie auch immer, nach kurzem Auftritt von Balthasar und einer ersten Erwähnung der Botschaft des "jungen Rabbis aus Nazareth" verschwindet auch die Wüstenszenerie schon wieder. Wir schalten um zu einem Mini-Zwischenspiel, bei dem Jesus mit "Wer unter euch ohne Sünde ist..." eine Frau vor der Steinigung rettet. Zapp! - Schon sind wir beim ehemaligen Haus der Familie Hur, wo Mutter und Schwester auf Judahs frühere Ische Esther treffen. Die muß schwören, daß sie Judah nix von den beiden erzählt, dann verschwinden sie wieder Richtung Aussätzigen-Wohnanlage. Zapp!- nächste Szene.

Ab sofort kommt wieder etwas mehr Ruhe in die Geschichte. Wir werden Zeuge von einigen Gladiatorenkämpfen, die für meinen Geschmack ruhig etwas zünftiger hätten ausfallen können. Vor allem, nachdem es in der Vorankündigung hieß, daß die Abendvorstellungen um einiges drastischer ausfallen würden als die familienkompatibleren Nachmittagsveranstaltungen. Na ja.
Scheich Ilderim tritt auf und überredet den anwesenden Messala zu einem Wagenrennen gegen sein eigenes Gespann unter der Führung von Judah. Messala nimmt an, und setzt in der nächsten Zwischenszene seine Gladiatoren auf Judah an, welche natürlich gegen den von Rache Getriebenen jämmerlich abloosen. Diese Szene kommt im Film nicht vor und macht auch in puncto Motivation wenig Sinn, den eigentlich will Messala den verhassten Rivalen ja beim Rennen vorführen. Hier wurde eindeutig die Story zugunsten einer weiteren Actionsequenz geopfert, obwohl "Action" bei dem stilisierten Hauen und Stechen eher relativ ist. Derweil versucht Erzähler Becker, die der konfusen Spielhandlung abgehende Dramatik durch ein Mehr an Pathos zu kompensieren, was aber nur bedingt gelingt.
Erneuter Szenenwechsel, wir befinden uns nun im Hause Hur, wo Judah Esther wieder begegnet. Ab jetzt folgt die Handlung wieder der vertrauten Sory. Esther versucht nun, Judah von seiner Rache abzubringen und berichtet ihrerseits von Jesu Botschaft von Liebe und Vergebung. Doch Judah will davon nichts wissen.

Als nächstes folgt das von allen erwartete Wagenrennen. Hier schürt die Filmvorlage natürlich extrem hohe Erwartungen, und die Vorankündigung der Show hat versprochen, diese zu erfüllen. Aber natürlich hat man im Film ganz andere Möglichkeiten, durch Schnitte, Soundeffekte und Tricksereien einen Spannungsbogen zu erzeugen. Die Möglichkeiten bieten sich natürlich während einer Live-Show nicht, und eine Olympiahalle ist nun mal kein Circus Maximus. So krankt das "Mega-Event" genau an einem seiner wichtigsten Glanzpunkte, dem Wagenrennen.
Nun verstehe man mich nicht falsch: Das Rennen ist spektakulär, die insgesamt fünf Pferdegespanne sind toll, die Geschwindigkeiten atemberaubend. Aber eben nicht ganz so toll, wie man es vielleicht erwartet hatte. Die "Kleinigkeiten" fehlen. Messala prügelt nicht zwischendurch auf Judah ein, niemand wird überrollt, keiner der Wagen hat fiese Fräse-Radkappen oder andere Gimmicks. Das Messala-Double fährt sogar die meiste Zeit drei Wagenlängen hinter den anderen Gespannen her. Nach und nach fällt ein Wagen nach dem andern nach Plan auseinander oder um, "Messala" wird ein Stück mitgeschleift, Judah gewinnt, und das Rennen ist vorbei,kaum, das es begonnen hat. Zumindest scheint es so.
Judah sucht den schwer verwundeten Messala auf, dieser erzählt ihm, daß Mutter und Schwester nicht tot, sondern leprakrank sind. Im Zenit seiner Rache, bringt Judah es doch nicht übers Herz, den verhaßten Rivalen um dier Ecke zu bringen (was auch auf einen sehr unehrenhaften Mord vor Zeugen hinausgelaufen wäre). Judah vergibt Messala sogar.

Wieder werden in Windeseile Kulissen verschoben, aus dem Circus weicht einer Szenerie, die wohl irgendwie gleichzeitig Bergpredigt und Kreuzweg symbolisieren soll. Jesu Jünger ziehen ein, angeblich nach Jerusalem, Jesus steht auf einem Berg in ihrer Mitte. Judah kommt begenet in der Menge Esther, Mutter und Schwester. Gemeinsam gehen sie auf den Berg. Judah erkennt Jesus als den Mann, der ihm einst Wasser gab, legt ihm sein Schwert zu füßen und verspricht, ihm eine Armee aufzustellen. Jesus lehnt natürlich dankend ab, worauf Judah verspricht, Jesus' Botschaft zu folgen. Dieser heilt daraufhin Mutter und Schwester, die umstehende Menge jubiliert, Tauben steigen auf. Das Licht fährt herunter, kurz darauf erscheint im Spotlicht der nackte Jesus in Gekreuzigten-Pose, während Judah ihm zu trinken gibt. Dann ist endgültig Schluß.

Damit endet das Ganze völlig unverdient in einem pathetischen Groschenroman-Finale. Das hochdramatische, mit christlicher Symbolik aufgeladene Filmende wird dadurch zu einer Kurzfassung eingedampft, die einem das Gefühl gibt, man wollte plötzlich einfach schnell zum Ende kommen. Und je weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit gespielt und agiert wird, um so mehr muß Erklärbär Becker den Zuschauern wortreich erläutern, was gerade so in den Köpfen (und Herzen) der Protagonisten abläuft.

Auch wenn meine Kritik zu Schluß hin vielleicht etwas herb ausfällt, das Spektakel ist absolut sehenswert und vermag den Zuschauer über die gesamte Dauer zu fesseln und bei der Stange zu halten. Auch wenn die Dramaturgie bei all den Schauwerten und Effekten etwas auf der Strecke bleibt und auch die Schauspieler nicht unbedingt oscarreif agieren, ich hatte einen sehr unterhaltsamen Abend. Wobei es eventuell sogar von Vorteil istz, wenn man den Heston-Film nicht kennt und so die ganze Sache weniger vorbelastet auf sich wirken lassen kann.

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