Montag, 28. Juni 2010

Total unbescheiden...

..von mir zu behaupten, der hier verlinkte Artikel das hier verlinkte Essay von Richard David Precht sei so lesenswert, es hätte glatt von mir sein können.

Gleichzeitig frage ich mich, wie viele solcher Aufsätze, Bücher und Artikel es noch braucht, ehe der Durchschnittsdeutsche aus seiner larmoyanten Duldungsstarre, Tenor: "Die da oben machen ja sowieso, was sie wollen", erwacht. Kein Wunder, daß "die da oben" dies nur allzugern als sich selbst erfüllende Prophezeiung billigend in Kauf nehmen und tatsächlich machen, was sie wollen.

Es ist gerade einmal schlappe 21 Jahre her, daß ein paar Millionen standhafter Protestierer letztlich einen ganzen Kontinent auf den Kopf gestellt haben. Scheinbar haben wir nach nur zwei Jahrzehnten komplett vergessen, daß man für gesellschaftliche Werte wie die Demokratie ab und an auch mal kämpfen, sich engagieren muß. Vor allem dann, wenn diejenigen, die wir uns eigentlich zu Gralshütern dieser Werte auserkoren hatten, ihrer Aufgabe nicht nachkommen. Da hilft es nicht, einfach die Hände in den Schoß zu legen und auf Besserung zu hoffen. Vor allem angesichts der stummen Bewunderung, die wir insgeheim für europäische Nachbarn wie die Franzosen hegen, wenn diese mal wieder wegen einer Benzinpreiserhöhung das halbe Land lahm legen. Wir hingegen geben uns damit zufrieden, einen Protestaufkleber aus der Bild-Zeitung auf die Heckklappe unseres VW Golf zu pappen und ansonsten Landsleute, die für ihre Überzeugung auf die Straße gehen, als linke Sonderlinge zu betrachten*.

Das soll nicht heißen, daß man nun Opas alte Mauser vom Dachboden holen soll, um das örtliche FDP-Büro zu stürmen**. Sondern, daß man einfach den Kopf nicht länger in den Treibsand der Fernsehwüste steckt oder ihn als populärmusikalisches Resonanzvakuum benutzt, das es mit möglichst stylischen Kopfhörern zu versiegeln gilt. Eben, wie es BAP mal recht plastisch ausgedrückt haben: "Arsch huh, Zäng ussenander!"

Solange aber die großen gesellschaftlichen Gruppen, Verbände und Organisationen tatenlos dabei zuschauen, wie eine verantwortungslose politische Elite demokratische Prozesse untergräbt und instrumentalisiert, solange wird diese Elite fröhlich so weitermachen. So lange es eben geht, flankiert von Lobbyisten als Anzug tragendes Volks-Surrogat.
Solange wir Politiker gewähren lassen, die mit beiden Händen in der Keksdose erwischt wurden, solange wir ihre darauf folgenden Ausreden hinnehmen, solange brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Keksdose irgendwann leer ist. Vorzugsweise dann, wenn wir auch mal Hunger gehabt hätten.

Wir verhalten uns wie Erstkläßler, die sich jeden Tag aufs Neue vom Schulrowdy das Milchgeld klauen lassen. Wir ärgern uns darüber, würden aber trotzdem nichts dagegen unternehmen, selbst wenn er ab morgen auch noch Hose und Schuhe verlangt.

Was man tun soll? Mitdenken und mitreden***, "mehr Demokratie wagen", wie Willy Brandt es genannt hat. Wer zum Beispiel mal eine der raren Möglichkeiten wahrnehmen will, in diesem Land direkte Demokratie zu üben, der schaue sich mal die Webseiten des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages an.
Noch nie gehört? Oder gehört, aber nicht gewußt, was es damit auf sich hat? Dacht' ich's mir doch...

*) Es sei denn, es ginge um die Verkürzung der Öffnungszeiten von Biergärten.
**) Obwohl so ein Vorgehen nicht eines gewissen Reizes entbehrt. Man stelle sich vor: G. Westerwelle, J. Ackermann und H.-O. Henkel, wie sie nach erzwungenem Konsum einer Palette Aldi-Pils gemeinsam "Sag mir, wo du stehst!" singen und sich anschließend gegenseitig Gewerkschafts-Parolen auf die Unterarme tätowieren.
***) Was nicht dasselbe ist wie am Stammtisch Bild-Schlagzeilen nachzuplappern.

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