Montag, 27. September 2010

Alle Jahre wieder

Spätestens, als ich am Montagmorgen auf dem Weg zur Arbeit den alljährlichen Hindernisparcours aus Kotzehäufchen und Urinlachen bewältigen mußte, wußte ich: Es ist wieder Wiesn.

Daß ich kein Freund dieser brauchtumsverklärten Hirnzellenabtötungsveranstaltung bin, habe ich wohl schon irgendwo erwähnt. Natürlich muß aber selbst ich zugeben, daß es viele Wiesn-Enthusiasten* gibt, die sich Monate im Voraus darauf freuen, nach einer halben Radler-Maß über das Festgelände zu schlendern und sich zum dreißigsten Mal die „dicke Frau“ beim Schichtl anzukucken. Ganz zu schweigen von all den Irren aus aller Welt, die das ganze Jahr auf ein Flugticket zum Oktoberfest sparen, nur um vierzehn Tage nach der Landung in München verkatert, pleite und ohne eine Erinnerung an die Ereignisse der letzten zwei Wochen wieder nach Hause zu fliegen. Einzig ein überdimensionaler Filzhut und eine fulminante Herpesinfektion künden von einer bewegten Zeit.

Im TV gibt’s wie in jedem Jahr die ewig gleichen Bilder australischer Bierleichen und sizilianischer Heckenpisser zu bewundern. Eigentlich könnten sich die diversen Privatsender es sich sparen, jedes Jahr aufs Neue ihre Kamerateams loszuschicken. Die Bilder vom Vorjahr würden es auch tun, es würde eh niemandem auffallen. Und die angeblich angeekelten Redakteure zoomen nochmal richtig drauf, wenn sich Party-Prolls aus Australien, Neuseeland und England gegenseitig in die Maßkrüge schiffen. Als wenn die deutschen Feierabend-Trachtler besser wären, nur weil sie einmal im Jahr die Lederhose von kik aus dem Schrank holen. Um, derart „authentisch“ legitimiert, letztendlich trotzdem in derselben Ausnüchterungszelle zu landen wie die Quartalssäufer aus down under.

Ein anderer Aspekt der Wiesn bleibt meist gänzlich unbeachtet, obwohl auch dieser viel Abstoßendes an sich hat. Die Rede ist von den Businesskaspern, die voller Stolz in ihren ein Jahr im Voraus reservierten Festzeltboxen hocken, eingepfercht wie ein Rudel Tofu-Schweine in der Veganer-Vorhölle. Eigentlich würden sich diese Selbstdarsteller viel lieber statt der lästigen Krawatte ein Lebkuchenherz um den Hals hängen und sich ins Getümmel der Feierwütigen außerhalb ihres VIP-Gefängnisses werfen. Wenn nur die lieben Kollegen, Vorgesetzten und – Gott bewahre!- Kunden nicht wären, die um einen herum hocken und dumpf in ihre Krüge starren. Wobei man ja z.B. als Vertriebs- oder Marketingheini unter dem Deckmantel des Animateurs doch ein wenig die Sau rauslassen könnte. Natürlich nur, solange sich die Kunden drauf einlassen, was diese aber meistens tun. Schließlich müssen sie das sackteure Bier ja nicht selbst zahlen.

Wer aber ausschließlich mit Vorgesetzten im Verschlag sitzt, hat eigentlich schon verloren. Es sei denn, die Führungsriege bestünde aus lauter verkappten Büttenrednern und anderen verkannten Alleinunterhaltern, die an diesem Tag den inneren Fips Asmussen von der Kette lassen und ununterbrochen Witze erzählen, für die man eigentlich von der Humorpolizei** zwei Stunden lang mit einem Gummihuhn verprügelt werden müßte.

Aber eine Spaßbremse ist garantiert immer dabei, und solange der eigene Chef nicht auf dem Tisch tanzt, sollte man das tunlichst ebenfalls bleiben lassen. Und daß der es nach seinem häßlichen Golfunfall nochmal auf einen Bierzelttisch schafft, darf getrost bezweifelt werden.

Und so sitzen sie dicht gedrängt als vermeintlich Privilegierte, weil Reservierte, und schauen so lange dem Treiben außerhalb ihrer Kasperzelle zu, bis sie sich genug Mut angetrunken haben, der Chefsekretärin verzweifelt ins pralle Karstadt-Dirndl zu langen oder sie einfach lautlos unter den Tisch gleiten, bevor sie dann kurz vor Mitternacht vom Reinigungspersonal aus dem Festzelt gefegt werden.

*) mit einer davon bin ich verheiratet…
**) manchmal wünschte ich, es gäbe sie wirklich

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