Dienstag, 31. Mai 2011

Liebesgrüße aus Berlin

Ich bin immer wieder erstaunt, wie unverfroren sich christlich nennende Parteien auf christlichen Werten herum trampeln. Auch wenn man sich irgendwie schon dran gewöhnt hat. (Ich empfehle an dieser Stelle auch gern Michael Moores „Capitalism: A Love Story“, in dem u.a. Geistliche verschiedener christlicher Strömungen auftreten, die sich darüber einig sind, daß Kapitalismus und Christentum in ihren Grundwerten und –prinzipien nicht nur unvereinbar sind, sondern sich sogar diametral gegenüber stehen. Aber das nur nebenbei.)

Noch bizarrer wird es, wenn sich Parteien, die ursprünglich aus Arbeiterschaft oder Friedensbewegung hervorgegangen sind, ihrerseits sozialethische und pazifistische Prinzipien über Bord werfen. Aber auch daran gewöhnt man sich. Mangelndes Vertrauen in Demokratie, Regierung und Politiker im Allgemeinen sind auch Resultate dieser Prinzipienlosigkeit.

Nehmen wir mal die Bundestagsdebatte zur Bundeswehrreform vom letzten Freitag.* Ich hätte niemals so viel essen können, wie ich dabei hätte kotzen mögen.

Um es kurz zu machen: Das Prinzip, daß die Sicherheit vor allem der wirtschaftlichen Interessen Deutschlands in irgendwelchen Wüsten und Gebirgen am andern Ende der Welt verteidigt werden müsse, ist nicht nur hoffähig geworden, sondern bildet sogar Grundlage der geplanten Reform. Es ist gerade mal ein Jahr her, daß Bundespräsident Horst Köhler wegen einer identischen Äußerung zurückgetreten ist.

Was gestern noch zu Recht ein Tabu war, weil es fundamental unserem Grundgesetz widerspricht, ist keines mehr. Aus einer reinen Verteidigungsarmee mit Bürgern in Uniform soll eine schnelle Eingreiftruppe a la Fremdenlegion werden, die sich im Kern aus dem Strandgut der Gesellschaft rekrutiert: Gering oder gar nicht Qualifizierte, chancenlose Migranten, Arbeitslose. Menschen, denen keine andere Perspektive geboten wird als die, sich im Dienste deutscher Konzerne und zweifelhafter außenpolitischer Aktionen die Rübe wegballern zu lassen. Und die man, hat man sie erstmal ordentlich gedrillt, auch mal auf die deutsche Zivilbevölkerung loslassen kann, wenn es nach dem Willen unseres freundlichen christlich(!)-sozialen(!) Innenministers geht.**

Man darf ja die Psychologie dabei nicht vergessen: Wir hätten es dann mit Soldaten zu tun, die durch die Waffe in der Hand vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben so etwas wie Anerkennung erhalten und auch das Gefühl von Macht erfahren. Wie die wohl dann im Zivilleben zu recht kommen werden? Mal gar nicht zu reden von den posttraumatischen Störungen, die bei Soldaten nach Auslandseinsätzen regelmäßig auftreten und die einigen Kommissköppen immer noch als mädchenhaftes Getue gelten. Wie viele geistige Vollbremsen, die nach Ihrer Entlassung vom „Bund“ durch ihre Sozialbausiedlungen wanken und sich nach ihrer Knarre sehnen, hätten wir gern in unserer Gesellschaft?

Wie man es auch dreht und wendet: Heute wurde im Bundestag über eine Truppe und über eine außenpolitische Doktrin diskutiert, wie sie eigentlich bisher von der breiten Mehrheit der Deutschen abgelehnt wird. Wir verachten die Amerikaner dafür, weil sie ihre Soldaten unter Vortäuschung hehrer politischer Ziele (Freiheit, Gleichheit, Demokratie usw.) in aller Welt Krieg spielen lassen, um am Ende amerikanischen Konzernen Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkte zu sichern. Wir sympathisieren mit der Zivilbevölkerung dieser Länder, wenn mal wieder eine ferngelenkte US-Drohne einen Kindergarten in die Luft jagt. Und schauen gleichzeitig unbeteiligt zu, wie eine breite Mehrheit im Parlament aus unserer, international halbwegs angesehenen Brunnenbau-Truppe eine Art Special Forces mit der Lizenz zum Töten machen will.

Begründet wird auch dies wieder u.a. mit dem völlig widersinnigen „Krieg gegen den Terror“. Wobei jeder halbwegs Gebildete mittlerweile weiß, daß man mit einer Armee bzw. Eingreiftruppe auf fremden Boden keine Terroristen bekämpfen kann, sondern allenfalls neue erzeugt.

Fühlt sich jemand sicherer, weil er weiß, daß der deutsche Kriegsminister demnächst Sitzenbleiber, Schulabbrecher und andere Underdogs mit scharfen Waffen ausstattet? Wie geht es unserem kollektiven Gewissen (falls es so etwas gibt) mit dem Bewußtsein, daß deutsche Soldaten im Ausland als Kombattanten und Terroristen deklarierte Zivilisten erschießen, damit uns irgendein durchgeknallter Diktator uns ein paar Mercedes-Limousinen abkauft? Wird Helgoland in ein paar Jahren das deutsche Guantanamo?

Bisher haben wir uns zumindest vorgaukeln können, daß wir die Guten und Netten sind. (Auch wenn Deutschland seit Jahrzehnten Waffen, militärisches Know-How und „Spezialkräfte“ auch noch in die instabilsten Staaten liefern. Von all den unsauberen Geheimdienstaktionen gar nicht zu reden...)

Wenn aber am Freitag einer neuen deutschen Außenpolitik der Weg geebnet wurde, dann dürfen wir uns in Deutschland erstmalig zu Recht auf einen „Terroranschlag“ gefaßt machen. Denn wie deutsche Soldaten im Ausland in den Wald/Dschungel/Hindukusch hineinrufen, so wird es uns hier über kurz oder lang wieder herausschallen.***

*) Abgesehen von der Erörterung der Grundzüge der Reform war die Fernsehdebatte gespickt mit Ungeheuerlichkeiten. Irgendein christlich-konservativer Redner stellte z.B. tatsächlich den Dienst an der Waffe auf eine Stufe mit den sozialen Dienstleistungen eines Zivildienstes. Eine wahrhaft christliche Geisteshaltung, Jesus wäre stolz gewesen. Wi-der-lich.


**) Diktatoren wie Ghaddafi machen es ähnlich: Deren Armeen setzen sich aus Unterprivilegierten und Ausländern zusammen, die kein Problem damit haben, auf die jeweilige Zivilbevölkerung zu ballern, weil sie mit dieser weder verwandt noch verschwägert ist.


***) Für eine ähnlich lautende Bemerkung hatte kürzlich ein 13jähriger unfreundlichen Besuch vom Secret Service. Ich bin gespannt, wer demnächst so an meine Tür klopft...

1 Kommentar:

Freiwirtschaftler hat gesagt…

"Der Herr sagte: Ihr habt alle Dinge verstanden, die ich euch gesagt habe, und ihr habt sie im Glauben angenommen. Wenn ihr sie erkannt habt, dann sind sie die Eurigen. Wenn nicht, dann sind sie nicht die Eurigen."

http://www.deweles.de/globalisierung/die-3-gebote.html