Samstag, 14. Mai 2011

Taken to the Pranger*

Ich bin seit längerer Zeit mal wieder (das letzte ist beinah genau ein Jahr her) auf (oder heißt es "bei"?) einem Konzert gewesen. Vermutlich wird mich das in Metaller-Kreisen ein paar Respektpunkte kosten, denn: Ich war bei Lena. Ja, DER Lena.
Zu meiner Entschuldigung darf ich sagen: Wir hatten Freikarten. Sponsor Opel hat diese nämlich recht freigiebig unters Volk geworfen.

Was soll man sagen: Es war besser und unterhaltsamer, als ich erwartet hatte.

Die Olympia-Halle war wider Erwarten doch recht gut gefüllt, mit einem Publikum einmal quer durch den Gemüsegarten. Vom Grundschüler bis zur Großmutter war alles vertreten, für mich als Freund der härteren Gangart ein eher ungewohnter Anblick. Bei einem Lena-Konzert hätte ich jetzt allerdings auch keine ganzkörper-tätowierten Rammstein-Jünger erwartet.

Wir hatten Tribünen-Sitzplätze, ebenfalls etwas, was ich bei Konzerten, bei denen es naturgemäß etwas knalliger zugeht, nicht so geil finde. Man will ja schon ein bißchen mit-headbangen, was im sitzen eher etwas seniorenhaft rüberkommt. Allerdings komme auch ich langsam in ein Alter, in dem ich bei einem zweistündigen Konzert eine Sitzgelegenheit durchaus zu schätzen weiß. Zumal ich mittlerweile ohnehin der Pogo- und Stagediving-Alters- und -gewichtsklasse entwachsen bin.

All diese kurzweiligen Aktivitäten spielten bei Lena keine Rolle. Sogar die Arena (also der Raum vor der Bühne) war komplett bestuhlt („bestuhlt“ im Sinne von „mit Sitzmöbeln ausgestattet“). Was die zumeist jüngeren Gäste aber nicht daran hinderte, bei den ersten Takten von „Not following“ zur Bühne zu stürmen und dort ihre eigene Stehparty aufzumachen. Sollen sie. Das alles ging sehr gesittet von statten, wie eine Revolution im Waldorf-Kindergarten.

Über Lena kann man indes nur staunen. Die spielerische Leichtigkeit, mit der sie als Newcomer ihr beinahe zweistündiges Gesangsprogramm herunterreißt, zeugt von derselben Chuzpe, mit der sie beim ESC* die meisten ausländischen Medien und Zuschauer um den Finger gewickelt hat. Auch wenn der ein oder andere Ton nicht 100%ig sitzt, macht ihr Charme jeden Schnitzer wett. Zumal Lightshow, Videoequipment, Tänzer und Begleitmusiker hochprofessionell arrangiert waren und keine Wünsche offen ließen. Und zwischen all den gestandenen Musik-Profis hoppelte Lena im wenig glamourösen Jeans-Outfit über die Bühne und versprühte leicht aufgekratzt gute Laune.

Volle Ränge durch Freikarten, ein paar schiefe Töne, gefälliger Kate-Nash-Pop, der niemandem weh tut, und die Gewinnerin einer Casting-Show - all das könnte man als Argument dafür anführen, das Konzert in den Augen ernsthafter Musikfans gnadenlos zu verreißen. Aber was Lena und ihre Crew da geboten haben, waren beinah zwei Stunden gute Unterhaltung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Warum die deutschen Medien und zum Teil auch wohl die Deutschen selbst, die noch vor einem Jahr unisono Lena feierten, ihr derzeit skeptisch, wenn nicht gar ablehnend gegenüber stehen, weiß ich nicht. Was ihr noch vor einem Jahr als unbekümmerte Frische, Witz und Originalität attestiert wurde, wird ihr heute als distanzierte Arroganz und abgehobene Zickigkeit ausgelegt. Offenbar mißbilligt der ein oder andere die nihilistisch anmutende Leichtigkeit, die scheinbar nichts ernst nimmt, weder die Musik, noch ihren Erfolg, noch den Sieg beim ESC. Mit dieser Haltung, ihrem unkonventionellen Auftreten und Musikstil, dem respektlosen Humor und - es gibt Leute, die ihr dies tatsächlich ankreiden - dem Abitur scheint sie für viele nicht genug Identifikationsfigur zu sein. Und daß sie diese Tatsache so gar nicht zu jucken scheint, macht diese Leute scheinbar noch mißgünstiger.

Statt sich also wenigstens mal ein bißchen zu freuen, daß wir der Welt eine Vertreterin präsentieren können, die eben nicht teutonisch-spröde und verkrampft spaßbefreite Wohlfühl-Phrasen absondert, mosern wir, wo wir können. Dem Feuilleton ist Lena nicht ernsthaft genug, den Kommerzpop-Teenies ist sie zu düster,  Spießbürgern ist sie als Stefan-Raab-Castingshow-Gewächs von vornherein suspekt. So als wäre es frevelhaft, andere einfach nur gut unterhalten und dabei selbst so viel Spaß wie möglich haben zu wollen.

Ist mir auch Wurscht. Ich häng zwar keine Lena-Poster auf und hör sicher auch ihre CD nicht rauf und runter, aber ich mag Lena und ihre schräge Art. So wie ich Nora Tschirner, ihre große Schwester im Geiste, und deren Humor mag. Ein vermutlich arg strapazierter Vergleich, aber nichtsdestoweniger zutreffend.
Beide hätten früher mal genau in mein "Beuteschema" gepaßt. Was mir mal gleich wieder ins Gedächtnis ruft, daß Nora neun, Lena sogar neunzehn Jahre jünger ist als ich. Wie die Zeit vergeht ... da nützt es auch nix mehr, daß mir das grausame Schicksal mal Noras Telefonnummer in die Hände gespielt hat.

Aber ich schweife ab. Eigentlich wollte ich nur sagen: Das Konzert war gut, und ich wünsch uns, daß wir am Samstag mit der Raabschen Idee von der ESC-Titelverteidigung nicht total abkacken.


*) Ein Wortspiel - man möge mir verzeihen. Mit "Pranger" ist natürlich das deutsche Wort gemeint. Im Englischen bedeutet das gar nichts.

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