In diesen Tagen widmet sich der Michel einem etwas in Vergessenheit geratenen Hobby. Nein, dabei geht es nicht um eine Mitgliedschaft in politischen Splittergruppen wie der FDP, sondern um die Herstellung von Alkoholika unter Zuhilfenahme dessen, was die Natur uns an Rohstoffen liefert.
Drauf gekommen bin ich vor ein paar Wochen bei einem Spaziergang am Rande des größten Dorfes. Da entdeckte ich nämlich ein paar Sanddornsträucher voller praller, gelber Beeren und war spontan begeistert. Was ließe sich nicht alles damit anfangen, ist doch Sanddorn seit jeher als Vitamin C-Lieferant wohlbekannt? Auch ließe sich vielleicht gar köstliche Marmelade daraus zaubern.
Meine Begeisterung hielt sich allerdings nicht lange. Zum einen kam ich kurz darauf in den zweifelhaften Genuß, Sanddorn Muttersaft* zu kosten. Ein Getränk, von Farbgebung und Konsistenz schwach an Babystuhl erinnernd, geschmacklich irgendwo zwischen alten Socken und Möbelpolitur. Aber selbstredend total gesund.
Zum anderen habe ich diverse Newsgroups und Foren bzgl. der Nutzung des edlen Obstes durchforstet und dabei zumindest eines herausgefunden: Die Ernte der Beeren ist das pomologische Äquivalent von akuten Gesäßschmerzen, weil a) die Äste voller Dornen sind und b) die Beeren äußerst instabil sind und ihre Umwelt beim Aufplatzen mit orangefarbenem Schmodder überziehen. Die wohl noch umweltfreundlichste Erntemethode ist scheinbar das komplette Abtrennen und anschließende Frostung der tragenden Äste, mit finalem Abklopfen der schockgefrosteten Beeren.
Das war mir dann doch etwas zu viel des Unguten. Neben dem Sanddorn standen allerdings ebenfalls dichte Schlehenhecken. Und Schlehenschnaps wurde mir zur Bekämpfung von Bauchschmerzen aller Art bereits als Kind eingeflößt. Ich kann mich noch gut an den Geschmack erinnern: süß und… Moment mal, ich glaub, ich bin da gerade in den Werther’s Echte-Modus gerutscht. Also nochmal: Der Schlehenschnaps von damals schmeckte scharf, süß-säuerlich, machte den Bauch von innen schön warm und vertrieb tatsächlich Bauchweh. Mein erster Alko-Pop, Made in GDR.
Ob die heilsame Wirkung reiner Placebo-Effekt war oder nicht, kann ich heute nicht mehr sagen. Und auch die mitlesenden Kinderschützer können aufhören, in ihre Wutkissen zu röcheln und die Herzmedikamente wieder in den Schrank legen: Ich durfte immer nur einen kleinen Schluck zu mir nehmen. Nicht, daß ich mehr gewollt hätte, so lecker war das Zeug nun auch wieder nicht.
Na, jedenfalls verbinde ich mit Schlehen angenehmste Kindheitserinnerungen. Demzufolge habe ich in den letzten Tagen unsere nähere Umgebung abgegrast und so ca. 2-3 kg Schlehen zusammengesammelt. Seltsamerweise fand sich außer mir nur ein einziger Münchner, der ebenfalls auf Obst-Pirsch war. Der allerdings sah aus, als würde er sich schon die letzten zehn Jahre von den Früchten des Waldes ernähren, der Prototyp des barfüßigen, zauselbärtigen Nahkampf-Veganers, samt seinem zum Feldfrucht-Kleintransporter umfunktionierten Vorkriegs-Fahrrad.
Die Schlehen wandern dann demnächst in ein schön abschließbares Gefäß, aufs lieblichste umspült von Hochprozentigem. Und dann muß ich nur noch warten, bis ich mal wieder Bauchschmerzen bekomme, und ab geht’s mit der Nostalgieachterbahn in Richtung Kindheit. Alles ohne DeLorean und Flux-Kompensator.
PS: Eins noch. Zu den Erinnerungen aus meiner Kindheit gehörte es auch, daß Leute auf Bäume stiegen und Obst pflückten. Klingt komisch, ist aber so. Damals gab es die wunderbarsten Obstsorten. Sorten, die noch nie einen Supermarkt von innen gesehen haben. Im Ernst: Die ewig gleichen Braeburns, Jonagolds und Granny Smiths, allesamt vom andern Ende der Welt herbeigekarrt, hängen mir zum Hals raus.
Heute findet sich kaum noch jemand, der auf einen Baum klettert und Äpfel pflückt, um anschließend daraus eigenhändig Apfelmus zu kochen. Geschweige denn wissen viele nicht mehr, welche Äpfel überhaupt dafür taugen oder welche sich vielleicht besser auf einem Kuchen machen.
Für alle Großstädter, die sich ihr Essen gern selbst pflücken, gibt es mundraub.org. Dort findet man deutschlandweit herrenloses Obst zum Selberernten. Die Karte ist für München bisher noch recht spärlich gefüllt, vermutlich weil die meisten das Wissen lieber für sich behalten.
Wer sich für die Bewahrung alter Obstsorten interessiert, der google mal ein wenig herum. Es findet sich mittlerweile unzählige Vereine, die sich der Bewahrung der Sortenvielfalt verschrieben haben z.B. www.nutzpflanzenvielfalt.de, vern.de oder www.arche-noah.at.
*) so ähnlich wie Muttermilch, nur ganz anders und ohne Brust
Montag, 24. Oktober 2011
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