Montag, 2. März 2015

Deppen-TV

Das vor allem im Privatfernsehen selten etwas so ist, wie es scheint, sollte eigentlich mittlerweile jedem bekannt sein. Solange es aber Klöpse gibt, die tatsächlich glauben, dass in den billig abgekurbelten Scripted Reality Formaten echte Menschen wahre Begebenheiten abbilden, solange hat die Konsequenzen der daily Verarsche keiner begriffen.

Neuestes Beispiel ist das nach Sat1-Eigenwerbung "größte TV-Experiment aller Zeiten" namens "Newtopia". Was vor Beginn noch nach einer innovativen und spannenden Fernseh-Idee klang, hat sich schon nach kurzer Zeit als eine weitere einfallslose Privatfernseh-Orgie herausgestellt: Eine bewußt auf Konfrontation zusammengecastete Truppe aus Soziopathen und Naivlingen verliert sich in profilneurotischem Hick-Hack à la "Berlin Tag und Nacht".

Aber darüber wollte ich mich heute gar nicht aufregen, sondern über "Secret Millionaire" bei RTL.
Konzept: Ein Geldsack tut eine Woche lang so, als wär er arm, praktikantet incognito bei irgendwelchen Sozialprojekten herum, darf am Ende sagen, wie toll er die Arbeit der Ehrenamtlichen findet und reicht ein paar Spendenschecks an die pflichtschuldig gerührten Gutmenschen rüber.

Offensichtliches Ziel: Dem durchschnittlichen Simpel (also dem typischen RTL-Konsumenten) ein Freudentränchen der Rührung ins Knopfloch zu treiben ob der Mildtätigkeit des netten Millionärs.

Was an dem Bild nicht stimmt? Alles.
Zunächst mal soll der Zuschauer glauben, dass der Wohltäter tatsächlich eine Woche lang vom Hartz4-Satz lebt und für die Zeit in eine karge Einzimmer-Tristesse umzieht. Das geht sogar noch, obwohl ich schon das nicht glaube. Warum sollte jemand eine Woche in Armut leben, wenn RTL nicht mal fünf Minuten Filmmaterial benötigt, etwas davon zu zeigen?

Dann soll der Zuschauer glauben, dass die Mitarbeiter der sozialen Maßnahmen, die Onkel Dagobert besucht, nix von der Identität desselben ahnen. Und das in der mittlererweile dritten Staffel des Formats. Als ob dort dauernd distinguierte Mitvierziger auftauchen, die mit einem Kamerateam im Schlepptau für ein paar Stunden "Praktikum" machen.
Erinnert ein bißchen and "Undercover Boss", wo sich Mitarbeiter angeblich ohne Verdacht zu schöpfen dabei filmen lassen, wie sie uralten Praktikanten mit schlechten Toupets ihre Lebensgeschichten erzählen.

Das Beschissenste aber ist der Schluss. Da sitzt dann der Millionär und reicht gönnerhaft ein paar Schecks herum, mit Summen, die vielleicht gerade mal ein Monatsgehalt eines der Mitarbeiter finanzieren. Zudem darf man wohl zu Recht mitmaßen, dass der gute Samariter beim letzten Shopping-Trip nach New York ein Vielfaches des Scheckbetrags verjuxt hat.

Die wirkliche Verdummung aber bleibt als die schlichte Baukasten-Harmonie störender Kausalzusammenhang unausgesprochen: Würden wir in einem Staat leben, in dem man die Wohlhabenden in angemessener Weise zur Kasse bitten würde, müßte man nicht darauf warten, dass der ein oder andere Krösus sich erbarmt und schweren Herzens ein paar Almosen in Spendenbüchse wirft. Vermutlich müßte es dann gar keine spendenfinanzierten Armenspeisungen, Kleiderkammern und ähnliches mehr geben.

Davon erfährt man aber bei RTL nix. Stattdessen werden wieder die Klischeevorstellungen einer Zuschauer-Klientel bedient, die Hartz4-Empfängern und Kriegsflüchtlingen nicht die Butter auf dem Brot gönnt, aber verlogene Millionenhinterzieher wie Hoeness bemitleidet und verteidigt.


1 Kommentar:

Ede hat gesagt…

hahahahaha schade, dass es keinen like button gibt...übrigens ziemlich cooler Text, hab das letztens mal ausversehen gesehen wie ein kollege in einem extrem hässlichen Anzug, irgendwelche Pferdetherapeuten mit 10.000 Euro beschenkt hat, dachte schon irre wie gerührt der total verpeilte Millionär war...übrigens wenn man hier kommentiert muss man anklicken, dass man kein Roboter ist....hahahaha wie geil....was ist das nächste, das ich anklicken muss, dass ich kein MIB bin.....