Montag, 25. September 2023

Schäm dich, Ostdeutschland

 Ich würde mich gern analytisch mit den Umfrage-Erfolgen der Arschkrampen für Deutschland im Osten auseinandersetzen. Aber es fällt mir schwer. Weil ich nebenbei platzen könnte vor Wut.

Was läuft eigentlich schief in meiner alten Heimat? Wenn ich mir die Klientel anschaue, die dort rechts und immer rechter wählt, sehe ich Enttäuschung und Verbitterung. Aber worüber eigentlich? Über die eigene Ambivalenz?

Ich höre immer mal, der Osten wäre auf alle Parteien sauer, weil der Osten abgehängt ist, weil dort kaum Industrie ist, weil sich unter Managern, Professoren und Spitzenbeamten kaum Ossis finden.Mag alles sein. Aber ich wüßte nicht, dass die AfD daran was ändern wollen würde, im Gegenteil. Die AfD ist alles andere als eine Ost-Partei.

Die AfD-Sympathisanten im Osten mögen keine Linken. Weil links, das war ja Sozialismus, SED, die alte DDR. DIE haben "uns" ja betrogen, belogen und ausgespäht.

Gleichzeitig seht  man sich nach der "heilen Welt" der DDR zurück. Zumindest pickt man sich für die eigene, selbstmitleidige Nostalgie die Punkte heraus, die man rückblickend als positiv wahrnimmt. Ein sehr selektiver Blick, aber das wollen diese Leute nicht hören. 

Sie wollen auch nicht hören, dass, wenn sie die Unabhängigkeit der Frau, das ostdeutsche Bildungssystem, die angebliche Solidarität der Menschen, die antifaschistische, völkerverständige Haltung von "damals" loben, nun mit einer Partei sympathisieren, die all das abschaffen bzw das genaue Gegenteil möchte.

Das eine wollen, aber das andere wählen. Mit dieser schizophrenen Ausgangslage haben deutsche Wähler ja jahrzehntelang Übung.

Blöd, wenn man sich entschieden hat, alles Scheiße zu finden und gegen alles zu sein, was zu konventionell erscheint. Wenn man einen Eskapismus pflegt, der alles Moderne aussperren möchte, nach dem Motto "Vorwärts in die Vergangenheit". Dann bleibt nämlich nicht mehr viel.

Aber so ist halt auch die politische Ecke, in die man sich so hineinmanövriert. Die Linken will man nicht wegen "damals". Die SPD mag man nicht, weil man ihr Personal doof findet, oder weil sie dem einen zu links, dem anderen zu CDU ist. Die CDU mag man auch nicht mehr wegen den "blühenden Landschaften" und der Treuhand. Die FDP mag man nicht wegen ihrer Klientelpolitik für Reiche (denn Reiche sind noch immer verpönt in der ehem. DDR). Die Grünen hasst man, weil die einem angeblich alles wegnehmen wollen, was den Ostdeutschen glücklich macht: billige Thüringer Bratwurst, Billig-Flugreisen ans Mittelmeer, Billigartikel aus Plastik und billiges Benzin zum Rasen.

Polemik? Leider nicht.

So, wie auch nur der Ossi sich noch als "Ossi" bezeichnet. Früher Schimpfwort, heute trotzige Selbstetikettierung. Das geht so weit, dass sich selbst Ostdeutsche, die die DDR nur noch aus dem Geschichtsbuch kennen (also keine eigentlichen Ossis sind), sich als Ossis bezeichnen, um sich zum Westen abzugrenzen.

Es ist für diese Ossis immer wieder ein Stück weit schockierend, dass sich außerhalb ihrer Bubble kein Mensch mehr für Ossi-Wessi-Zuschreibungen interessiert, geschweige denn diese Begrifflichkeiten benutzt.

Wie ich dieses selbstauferlegte Underdog-Narrativ verabscheue. Dient es den selbsternannten Opfern lediglich stets als Rechtfertigung, sich außerhalb der Norm oder des Rechts zu bewegen. Der Logik folgend "Ich darf das, ich bin Opfer. Ich wurde oder fühle mich gedemütigt, deswegen darf ich jetzt andere demütigen." Nach der Logik wählt man dann auch AfD, um es "denen da oben", die nach eigener Auffassung an dem meist aber selbst verursachten Unglück schuld sind, mal zu zeigen.

Als solcher darf man dann auch mitleidlos notleidenden Menschen im Rest der Welt die kalte Schulter zeigen, denn "man hat's ja selbst nicht leicht". 

Zurück zu den Parteien und der selbstgebastelten Nische. Wer bleibt denn übrig, wenn man alle Parteien als unwählbar ausgeschlossen hat? Genau. Dann bleibt man auf Nazis sitzen. Und um die wählbar zu machen, braucht es eine ordentliche Portion Autosuggestion. Man muss aktiv die ganze völkische Rhetorik mit Anspielungen auf das Dritte Reich, die Aufmärsche an der Seite von Extremisten und Reichsbürgern, die Verbindungen zur militanten Neonazi-Szene, die politischen Ideen von Vor-vorgestern, die Lügen und Skandale, den kaum verhohlenen Hass auf demokratische Errungenschaften und persönliche Freiheiten und die hässliche Freude über jede Hiobsbotschaft für das Land wegignorieren und sich mantrahaft einreden, dass doch nichts dabei ist, die politische Macht in die Hände von Hetzern, Bauernfängern und Menschenfeindenzu legen.

So viel könnte ich gar nicht saufen, wie es bräuchte, mich vergessen zu lassen, dass man keine Faschisten ans Ruder läßt. Wieso gerade die (älteren) Ossis das schaffen und sich im gleichen Atemzug ihrer humanistischen, antifaschistischen, völkerverbindenden und antikapitalistischen Schulbildung zu rühmen, begreife ich nicht. 

Dabei kann man mit Recht sauer auf Politiker aller Parteien sein. Man kann anderer Meinung sein, man kann sie Scheiße finden. Man kann das offen aussprechen, ins Internet schreiben und auf dem Marktplatz herausschreien. Man muss sie auch nicht wählen. 

Glaubt ihr, das bleibt so, wenn die AfD am Drücker ist? Die bürgerliche Freiheit und Demokratie ablehnt?

Die Sympathien für Diktatoren hegen? Meint hier wirklich einer, unter DENEN wird's ihm besser gehen? Ja sicher. Euer Leben wird im so vieles besser werden, wenn Frau Storch an der Grenze auf Kinder schießen lässt. DAS wird wirklich das Leben in Deutschland verbessern.

Und so richtig lustig wird es erst, wenn man erst die "Ausländer" aus dem Weg hat. Nazis brauchen Feindbilder, damit ihre Narrative funktionieren. Ihr "Wir" ist immer ein "wir gegen die". 

Dreimal dürft ihr raten, wen es treffen wird. Es reicht ein Blick ins Wahlprogramm der AfD. Denn in der AfD sitzen mitnichten Freunde des "kleinen Mannes". Wer es nicht glaubt, kann sich gern die Verhältnisse in Polen, Ungarn, Russland oder der Türkei anschauen, oder die Geschichte der NSDAP nachvollziehen.

Sobald man gewählt wurde, beginnt der Umbau des Staates in Richtung Unfreiheit. Wer heute schon meint, er könne nicht mehr sagen, was er wolle (ach ja? Beispiele, bitte!), der kann sich schon mal warm anziehen. Mir fällt dabei immer wieder das Zitat von Martin Niemöller ein.

Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.

Ganz zu schweigen davon, dass die AfD auf keine der aktuellen Fragestellungen eine sinnvolle Antwort hat. 

Wer soll die Renten von morgen zahlen, wenn man Zuwanderung verhindert? Die AfD möchte eine Art "Mutterkreuz" wieder einführen, eine Wurfprämie, ein Zuchtprogramm für Deutsche. 

Klimaschutz? CO2? Braucht man nicht, gibt es nicht. Scheiß auf Waldbrände, scheiß auf Hitzetote, scheiß auf Trinkwassermangel. Scheiß auf Milliardenschäden durch immer häufigere Überflutungen, Wirbelstürme und vertrocknete Ernten.

Altersarmut? Kinderarmut? Alles wird teurer? Prekäre Lebensverhältnisse? Die AfD möchte Sozialleistungen beschneiden, den Rest regelt "der Markt". Dafür möchte man Reiche entlasten und Steuern senken. Die FDP bezieht für solche Parolen zu Recht Prügel, bei der AfD wird es wegignoriert.

Bildung? Auch da setzt die AfD auf Spaltung. Dem Fachkräftemangel möchte die Partei damit begegnen, dass man das Abitur einer Elite vorbehält, der Rest soll gefälligst arbeiten gehen. Behinderte und nicht so Leistungsfähige werden weggesperrt. Zum Lehrermangel hat man kein Konzept, stattdessen möchte man z.B. in Hessen Autorität und Sanktionen durch Lehrer fördern (Prügelstrafe?) und Islamunterricht abschaffen (den es ohnehin kaum gibt und der dann wieder in irgendwelchen Moscheen passiert).

Und man möchte den Dexit. Und das, obwohl Deutschland wie kaum ein anderes Land wirtschaftlich von der EU profitiert. Dass der Brexit in Großbritannien zu massiven Krisen geführt hat und die meisten dort den Austritt inzwischen bereuen, wird wegignoriert.

Mein Fazit: Die AfD arbeitet, wo sie kann, an der Spaltung der Gesellschaft. Die unteren Schichten der Gesellschaft (in der sich auch die "Ossis" verorten) werden gegängelt, bevormundet und abgehängt. Darüber hinaus scheint man sich bei der Lösung aktueller Probleme 100 Jahre alte Anleihen bei der NSDAP geholt zu haben. 

Übrigens, wo wir gerade dabei sind: Man möchte auch Autobahnen bauen.

Kann ja sein, dass den AfD-Sympathisanten alle Freiheit am Arsch vorbei geht. Denen die Zukunft egal ist, die lieber im Schatten eines Atomkraftwerks leben als im Schatten eines Windrads. Deren Wohlbefinden davon abhängig zu sein scheint, dass es weiter "Zigeunersoße" heißt und man Vietnamesen "Fitschies" nennen darf. Die den Klimawandel leugnen, nur um weiter billiges Schnitzel fressen und mit russischem Öl heizen zu können, während links und rechts das Land überflutet, austrocknet, weggeweht und von Borkenkäfern und invasiven Tierarten aus südlichen Gefilden kahl gefressen wird.

Hipp-hipp-hurrah! Wenn ich schon abkratzen muss, nehm' ich wenigstens noch ein paar mit! Wenn es mir nicht gut geht, soll es wenigstens andern noch schlechter gehen. Nach uns die Sintflut.

Liebe Ossis - ist DAS jetzt echt euer Menschenbild? 

Wenn ja, dann wählt ihr mir der AfD genau die richtigen. 

Aber kommt dann nicht angelaufen und jammert. 

Ich hab euch gewarnt.

6 Kommentare:

Ede hat gesagt…

naja 18,4 % in Hessen und 14,6 % in Bayern mglw. sind die Ost- und Westdeutschen doch gleicher als sie sich manchmal eingestehen wollen....dann kannst du eigentlich das Ost...aus dem Titel streichen....denn offensichtlich wünchen sich alle irgendwie die gute alte Zeit zurück, als man nicht Pipi Langstrumpf neu auflegen wollte, Radlerinnen noch Frauen auf Rädern waren und nicht der verzweifelte Versuch gemischtes Bier mit Limonade eine geschlechtsneutralen Ausdruck zu verleihen und 5 Mio Menschen in Ost und West schön ohne Jobs waren, dafür gabs aber an Weihnachten noch ab und an Schnee und ein dickes Chateaubriand war noch der Ausdruck von Wohlstand und nicht der Untergang des Abendlandes...es gibt Momente, da bin ich ganz ehrlich, da höre ich Scooters Hyper Hyper und denke voll Wehmut an eine Zeit als wir jung und das Leben auch kompliziert, aber irgendwie alles möglich war....alles kein Grund Nazis zu wählen und schon gar nicht solche Gehirnakrobaten von der AfD....leider verändern sich die Stimmungen in unserer Gesellschaft und schämen müssen sich alle...bloß weil die AfD jetzt keine 30 % in Bayern hat (das übernehmen schon die Nazis von den Freien Wählern) heißt, dass nicht dass es ein ostdeutsches Phänomen ist....die Welle wird auch im Westen ankommen oder ist sie schon...

Ede hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Ede hat gesagt…

ich vergess nicht ...wo ich herkomm.... ich kenn auch dein freundlichen Blick...https://www.youtube.com/watch?v=fTwHFo9I72U
immer wieder ein schöner Song...

der Michel hat gesagt…

Moin, mir ging es auch eher um das ewige Opfer-Gejammer und die selbstmitleidige Ostalgie, die all zu oft auf eine Weise, die ich mir nicht erklären kann, in Ausländerhass, Zukunftsangst und blindem Glauben an alles, was nicht dem vermeintlichen Mainstream entspricht, gipfelt. Selbst Leute, die gerade noch Flüchtlingen geholfen haben, lassen sich durch irgendwelche gefaketen Hetz-Nachrichten aufstacheln, ohne nochmal drüber nachzudenken. Ich begegne im Osten fast nur noch Leuten, die alles anzweifeln außer dem, was AfD-Politiker und andere selbsternannte "Verkünder der verschwiegenen Wahrheiten" von sich geben, gepaart mit einem irrationalen Hass auf alles, was "grün" ist.
Im Westen gibt es die auch, aber im Osten ist Inflation, was das angeht. Besonders bitter, wenn sich innerhalb weniger Jahre der ganze Familien- und Bekannten-Kreis in egozentrierte Allround-Skeptiker verwandelt hat, in unterschiedlichen Abstufungen, für die Gendersternchen den Untergang des Abendlandes bedeuten.

Ede hat gesagt…

Moin, ich glaube hier unterliegst du einem klaren Wahrnehmungsirrtum. Ich wohne ja in dem berühmten Ostdeutschland und ehrlich in meinem Bekanntenkreis gibts diese Diskussionen, um die einfachen Lösungen und wie schöns wars doch in Panama nicht. Wenn man aber natürlich aufs flache Land fährt und du dir dort anhörst, was die Leute denken, naja dann bekommst du diesen Eindruck vielleicht. Aber schau dir unser Heimat an und es gibt nirgends so viel flaches Land wie da, ich hab immer gedacht was für ein Quatsch "größerer Bevölkerungsverlust als durch die Pest"....und ehrlich diese Regionen sterben und sie sterben mit der Generation unserer Eltern. Das wird Jahrzehnte dauern bis sich, wenn überhaupt, diese Regionen erholen. Dass diese Elterngeneration eine etwas verschobene meinung auch an ihre Nachkommen weitergibt, ist glaub ich nachvollziehbar. Und dass jemandem gerade in Hinblick auf "grüne" Politik manchmal das Hemd näher ist als die Hose liegt natürlich an der Lebensrealität dieser Menschen....60 cent/Kwh ist schonmal ne Ansage und ehrlich die Aussicht auf weniger Geld in der Tasche ist gerade dort für viele ein großes Thema. Ob da die Politik was dafür kann ist geschenkt, vermutlich genausowenig wie die Politik was dafür kann, dass man in München Unmengen Kohle verdient und man mit normalen Einkommen trotzdem kaum dort leben kann...alles geschenkt, denn wie unsere Freunde der FDP immer propagieren, reguliert ja der Markt alles und jeder ist seines Glückes Schmied....Da kann man sicher geteilter Meinung sein.
Also vielleicht ist Ostdeutschland nicht ganz so AfD verliebt wie du denkst und ich lebe hier und glaube es beurteilen zu können. Über die Leute, die hier viel bewegen (und denen tust du ernsthaft unrecht), berichtet natürlich die "Lügenpresse" nicht, weil interessiert ja auch nur bedingt, denn dann sind die Ossis ja genauso wie die Wessis (was irgendwie auch blöd wäre, wer wäre dann noch besser) auch wenn es vielleicht meine Bubble ist, in der ich lebe, es gibt viel mehr als das flache Land und Menschen, die keine dusseligen Verschwörungstheorien nachhängen oder auch nur einfache Lösungen suchen, denn die gibts gerade in Ostdeutschland nicht....

der Michel hat gesagt…

Servus,
ja, das ist sicher ein Problem der Bubble. Bzw Stadt/Land, bzw Boomer/alles danach.
Meine Bubble ist halt voller Provinz-Boomer... dazu kommen noch eine Menge Kunden aus OD, die in dieselbe Sparte fallen.

Es läßt sich aber auch nicht wegdiskutieren, dass die Zustimmungswerte/Wahlergebnisse der Afd im Osten zum Teil doppelt so hoch sind wie in westlichen BL. Guckst du: https://dawum.de/AfD/

Mir ging's aber auch nicht nur um die AfD, sondern um die Diskrepanz zwischen "ich will die DDR zurück" einerseits und "Make Deutschland great again" andererseits, zumindest, wenn man die DDR als Gegenmodell zu Nazi-Deutschland begreift.
Mich frusten aber auch die ewigen Diskussionen. Das "Huhuhu, bei uns machen alle Restaurants und Cafes zu" - "Und, warst du im letzten Jahr mal essen oder Kaffee trinken?" - "Nein. Zuhause schmeckt es eh besser, der Kaffee kostet sagenhafte 1,50 Euro, und die haben nicht mal Soljanka auf der Karte. Schickimicki!"
Oder "Der Westen ist dekadent, wer braucht 50 Sorten billigen Joghurt, scheiß Wegwerfgesellschaft, die armen Bauern verhungern." - "Der Joghurt bei ALDI kostet 5 Cent mehr, wer soll sich das noch leisten, es gibt auch nur noch 45 Sorten, die Welt geht unter!" Und so weiter.

Das Thema ist facettenreich....