Freitag, 3. Oktober 2008

Happy Birthday!

Die Wiedervereinigung wird 18. Deutschland darf endlich legal Auto fahren, wählen und endlich auch mal die richtig harten Sachen trinken.

Normalerweise ist der 18. Geburtstag ja ein Anlaß, es mal so richtig krachen zu lassen. Man lädt sich Freunde ein, stellt Hochprozentiges kalt und sorgt für Snacks, die sich - nur für den Fall - problemlos erbrechen lassen.

So würde das wahrscheinlich auch in den meisten anderen Ländern dieser Welt ablaufen. Sogar die tiefgekühlten Finnen, die Erfinder der Polarnachtsdepression und des Death Metal, sitzen am Unabhängigkeitstag allesamt brav vor dem Fernseher und schauen begeistert ihrem Präsi beim Feiern zu.

Nicht so bei uns. Oder hat etwa gestern tatsächlich jemand der Rede unseres Bundes-Horsts gelauscht und Strichliste geführt, wie oft er "zusammenwachsen" gesagt hat? Nicht wirklich.

Deutschland hat, statt eine heiße Party zu schmeißen, allein im Jogginganzug mit einer Flasche Bier vor dem Fernseher gesessen. In der Glotze lief vermutlich gerade taffblitzexplosivbrisant, wo gerade irgendeine dampfgeföhnte Moderationspraktikantin mit gespielter Betroffenheit irgendwas von der "Mauer in den Köpfen" faselte, die es jetzt doch endlich mal zu überwinden gilt.

So ist das eben mit uns Dschörmans: Wir jetten um den Globus, besaufen uns mit den Iren am St Patricks Day, grillen mit den Amis am Independence Day und verprügeln am griechischen Unabhängigkeitstag ein paar Türken. Wir feiern mit den Völkern dieser Welt deren nationale Feiertage, nur an unserem eigenen kriegen wir es nicht so richtig hin. Nur vereinzelt klemmt mal einer ein übriggebliebenes WM-Deutschlandfähnchen ans Balkongeländer.

Warum das so ist? Die Frage hab ich mir u.a. angesichts der heutigen BILD-Schlagzeile auch gestellt. "Wir sind ein Volk" stand da zu lesen. Aber was für ein Volk sind wir eigentlich? Welche Nation begeht da ihren Nationalfeiertag?

Schwierig zu beantworten, denn allein die Bedeutung der Worte "Volk" bzw "Nation" läßt verschiedene Definitionen zu. Bin ich also Deutscher, weil ich meinen Wohnsitz hier habe? Oder etwa, weil Deutsch meine Muttersprache ist? Oder weil ich einen deutschen Paß habe? Weil ich hier geboren und aufgewachsen bin? Weil ich gerne Bratwurst esse?

Keine der Antworten auf diese Fragen kann wirklich die Frage nach dem "Deutschsein" zufrieden stellend beantworten. Würde man z.B einen Australier zu dem Thema befragen, würde er uns vermutlich sagen, daß wir uns nicht den Kopf über so einen Scheiß zerbrechen sollen, er sei Australier, weil er eben einer sei bzw sich als Australier fühlt, goddammit.

Wir beneiden den Australier daraufhin um sein unverkrampftes Verhältnis zu seiner nationalen Identität. Und fragen uns, warum uns das nicht gelingt. Was für ein Gefühl ist das, "deutsch"?

Wie soll man heutzutage so etwas wie nationale Identität überhaupt definieren, wenn der Busfahrer aus Uganda ein verständlicheres Deutsch spricht als der aus Stuttgart? Wenn das Auto meines Nachbarn Metin sauberer ist als meins, Kollege Marek pünktlicher ist und Kollege Jean-Paul Kartoffeln noch viel lieber ißt als ich selbst Pizza? Wir schicken unsere Bundeswehr nach Afghanistan, unsere Sportler nach Monaco, unsere Arbeitsplätze nach Taiwan und unser Geld nach Liechtenstein. Die Welt ist rund, Deutschland nicht.

Die Frage ist wohl mittlerweile eher: Brauchen wir eine nationale Identität überhaupt noch? Was nützt mir das Bewußtsein, daß ich Deutscher bin? Bringt es mich weiter, erweitert es meinen Geist, bezahlt es meine Rechnungen? Oder weiß ich dadurch im Zweifel nur, welcher Fußballmannschaft ich zujubeln muß? Obwohl mir die andere Mannschaft vielleicht viel sympathischer ist?

Sicher ist, daß der Mensch nach einer gewissen Ordnung strebt. Jedes Ding und jeder Mensch soll einen Namen haben, ein Etikett, einen Rang, der es oder ihn kategorisierbar macht. Ob er will oder nicht. So bringen wir Ordnung in das Chaos, das das Leben uns serviert, so schaffen wir uns unzählige Schubladen, in die wir alles, was uns begegnet, einzusortieren versuchen. So funktioniert unser Denken, so wird die Welt für uns begreifbar. Und weil jedes Individuum sich seine eigenen Schubladen bastelt, sind wir gezwungen, miteinander zu kommunizieren. Denn so synchronisieren wir unsere verschiedenen Weltbilder miteinander und finden heraus, wer uns sympathisch ist und wer eher nicht.
Immer wieder gewinnt dabei die Einordnung nach verschiedenen Völkern ganz besonders an Bedeutung. Manchmal fangen wir dann plötzlich an, den Gaul von hinten aufzuzäumen. Wir knüpfen unsere Sympathien plötzlich nicht mehr an Individuen, sondern verteilen sie anhand von bestimmten Einordnungskriterien, Klassifizierungen, Etiketten. Wir fangen an, unsere Datenbank neu zu sortieren. Wir verfrachten Schubladen, deren Inhalt uns nicht gefällt, mit Gewalt ganz unten ins Regal. Und manchmal versuchen wir sogar, sie loszuwerden.

Mit anderen Worten: Die politischen Konstrukte von Völkern und Nationen haben in der Vergangenheit zu wenig mehr gedient als uns begreiflich zu machen, wen wir mögen sollen und wen nicht, wem welches Stückchen Land gehört und wen wir attackieren müssen, um es zu bekommen. Nichts gutes also.
Dabei ist es letztendlich für mich heute völlig egal, ob ich Deutscher bin oder nicht. Wenn ich mich dafür entscheide, könnte ich in kürzester Zeit Buddhist werden, die österreichische Staatsbürgerschaft annehmen, meinen Wohnsitz nach Spanien verlegen und an jedem jüdischen Feiertag die kanadische Flagge aus dem Fenster hängen, und bliebe trotzdem im Grundsatz derselbe Mensch.

Schön, in einem Land zu leben, wo ich all das machen könnte, wenn ich wollte.
Danke, Deutschland. Und nichts für ungut.

Keine Kommentare: