Samstag, 25. Oktober 2008

Mel läßt metzeln

Nach kürzlicher Sichtung von "Apocalypto" bin ich zu dem Schluß gekommen, daß es mit des Gibsmeisters Geschirrschrank nicht zum besten steht. Denn da dürfte ihm über die Jahre das ein oder andere Trinkgefäß abhanden gekommen sein.

In den 80ern und 90ern hat olle Mel ja noch meistens vor der Kamera gestanden, und das war auch gut so, denn dort wurde er bekanntermaßen zu einem der erfolgreichsten Filmstars seiner Epoche. Das war auch die schöne Zeit, als es bei seinen Filmchen immer noch hin und wieder was zu lachen gab. Die Zeiten sind aber nun wohl vorbei, denn spätestens, seit er auch hinter der Kamera steht, liefert er nur noch Kinoware ab, die man auf keinem Kindergeburtstag mehr guten Gewissens zeigen kann. Und dabei hab ich das dumme Gefühl, daß bei jedem Film die Splatterquote zunimmt, und zwar aus reinem, primitivem Selbstzweck.

Man möge mich nicht falsch verstehen: Seine Filme sind nach wie vor spannend und solide gemacht. Auch wenn sein Originalsprachen-Tick langsam etwas seltsam rüberkommt. Aber die Geschichten, die er erzählt, folgen - bei aller Dramatik - immer dem gleichem, simplen Strickmuster: Rechtschaffener "Guter" wird mit bösem Brutalinski konfrontiert, der seine Frau/Eltern/Kinder möglichst brutal und dabei möglichst grinsend dahinmetzelt. Good guy kriegt daraufhin die gerechte Wut und verwandelt sich in einen Racheengel, der wiederum mit möglichst versteinerter Miene ebenso blutige Rache nimmt. Also "böse" Gewalt vs. "gute" Gewalt. Und dieses Verhältnis schaukelt sich bei ihm von Film zu Film immer weiter hoch, der simplen Logik folgend: Je brutaler der Böse vorlegt, umso heftiger darf der Gute nachlegen, um seine Vergeltung möglichst "angemessen" erscheinen zu lassen. Da bricht bei Mr Gibson scheinbar voll der Fundi-Christ durch, "Auge um Auge" in seiner brutalst möglichen Form. (Sowieso wundere ich mich bei ihm einmal mehr, wie einträchtig kommerzieller Erfolg in Hollywood und religiöser Fundamentalismus scheinbar Hand in Hand gehen können.)

Einziger Film, der dabei natürlich aus der Reihe tanzen muß, ist "Die Passion Christi". Es gibt eben Drehbücher, die traut sich auch ein Mel Gibson nicht umzuschreiben. Und weil er daher in diesem Film auf das Vergeltungsmotiv verzichten mußte*, läßt er die bösen Römer eine um so heftigere Schlachteplatte anrichten. Ich sach mal: Gut, daß es damals noch keine Kettensägen gab. So transformiert Regisseur Gibson die Rachegelüste (die im Film ja unbefriedigt bleiben und eigentlich nach christlicher Lehre auch in der Liebesbotschaft aufgehen sollen) geschickt auf der arglosen Zuschauer. Ich kann mich noch gut an meine in heiligem Zorn und religiöser Inbrunst entflammte, römisch-katholische Schwiegermutter erinnern, nachdem sie den Film zum ersten Mal im Fernsehen gesehen hatte. Hätte man ihr gleich nach dem Abspann eine Kalaschnikov und ein Flugticket in die Hand gedrückt, sie hätte innerhalb der nächsten 48 Stunden Jerusalem im Alleingang "befreit".

Sonderbar finde ich nur, daß bei all der durchwachsenen Kritik an seinen letzten Filmen soweit erinnerlich nie so richtig die Selbstjustiz-Schwarze Peter-Karte gezogen wurde. Soll heißen: Wenn heute ein Charles-Bronson-Reißer aus den 70ern im Fernsehen läuft, heißt es jedesmal in der Kritik "Zynischer und brutaler Selbstjustiz-Thriller" o.ä., ähnliches liest man bei "Dirty Harry" und Co.

Wenn aber Willy Wallace seinem Kontrahenten mit dem Zweihänder den Helmhalter von den Schultern trennt, "Der Patriot" mit dem Tomahawk einen Trupp Bösewichte zerhackstückt oder der brave Indio seinen Peiniger per Speerfalle ans Tropengehölz nagelt, gibt's dafür bei Mel sogar reihenweise Preise. Irgendwie wird hier mit zweierlei Maß gemessen.

Dabei halte ich einen stoischen Rächer, der nach vollbrachter Vergeltungstat leer und freudlos in einer Ecke vor sich hinbrütet, für ehrlicher und realistischer als Gibsons Helden. Die wischen sich nämlich buchstäblich nach vollendeter Metzelei einfach nur das Blut aus dem Gesicht und setzen sich zur Familie an den Frühstückstisch, als wenn nix gewesen wäre. Dieser Schwenk vom gerade eben noch bluttriefenden Schlachtfeld-Szenario zum Heile-Welt-Bärenmarke-Werbespot kommt mir dann doch ein bißchen zu unrealistisch und plump sympathieheischend daher.
Vermutlich arbeitet M.G. deswegen lieber mit Plots, die in vergleichweisen archaischen Gesellschaften oder Zeiten spielen. So mogelt er sich nämlich um die fällige Aufarbeitung der Traumata herum. Denn selbst wenn seine Filmhelden zur Verarbeitung ihrer diversen Amokläufe psychologische Hilfe ganz gut hätten brauchen können: Es gab vor 1000 oder 2000 Jahren einfach noch keine Psychoanalytiker und Selbsthilfegruppen. **


*) Auch eine Filmvariante, die ich gern mal sehen würde: Jesus steigt jede Nacht von Kreuz, läßt sich "Nächstenliebe" und "Vergebung" auf die Fingerknöchel tätowieren und verprügelt im Ninja-Gewand fiese Römer und Pilatus-Schergen. Buch: Quentin Tarantino, Regie: Mel Brooks, Hauptrolle: Bruce Willis oder Ben Stiller. In einer Nebenrolle: Samuel L Jackson als Petrus, der als "Q" den Meister mit kleinen Gimmicks (David-Wurfsterne, Streitwagen mit Weihwasserwerfer usw) ausstattet.

**) Wär vielleicht ein schöner Ansatz für eine Parodie: "Pranke des Jaguars" (der Held aus "Apocalypto") liegt beim Analytiker auf der Couch und erzählt, wie sehr es ihn traumatisiert hat, daß bei seinem Stamm alle Frauen oben ohne rumlaufen, auch die alten. Oder ein William Wallace, der in seiner Selbsthilfegruppe darüber spricht, wie ihn seine Mutter als Kind zwang, Hosen zu tragen und sich blau zu schminken, weil sie sich eigentlich ein Mädchen gewünscht hatte.

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