Sonntag, 18. Januar 2009

"Die Künstlerin"

(dieser Beitrag bezieht sich u.a. auf den vorangegangenen, daher sollte man diesen ggfs zuerst lesen)
(muß man aber nicht)

Den Typus dieser Dame begegnet man in München sehr häufig, da sich in dieser Stadt aus irgendeinem seltsamen Grund eine bürgerlich-alternative Künstlerboheme angesiedelt hat, die es geschafft hat, 70er Jahre Hippieattitüde mit 90er Jahre Kommerz zu vereinen.

Die Grundform der Künstlerin ist immer dieselbe. Man schließe die Augen und stelle sich vor: Eine Endvierzigerin mit welligem, etwas angefilztem, schulterlangem Haar*. Blasser Teint, dabei auffällig rot geschminkte Lippen. Kleidung konservativ mit Hang zu abstrakten Mustern, Musikerinnen tragen eher dunkle Farben, Malerinnen & Co. neigen dagegen zu grelleren Kontrasten. Keinesfalls von der Stange, keinesfalls Markenware, am besten von der befreundeten Schneiderin entworfen und handgenäht, zum Freundschaftspreis.

Die verwendeten Accessoires sind gewöhnlich in Form und Farbe möglichst auffällig, finden allerdings dezenteren Einsatz als z.B. die obligatorischen knielangen Ketten aus riesigen, bunten Holzperlen, Kupferscheiben und Glasbausteinen der durchschnittlichen Deutschlehrerin. (Letztere wird von Laien gern mit der Künstlerin verwechselt.)

Die Künstlerin widmet ihr Dasein mindestens einer Kunstform, von deren Endprodukten sie aber nicht leben kann, daher hält sie sich bis zum endgültigen Durchbruch** mit Klavierstunden, Tantra-Kursen und "ganzheitlicher Lebensberatung" über Wasser.
Außerdem kennen sich Künstlerinnen alle untereinander, da sie zusammen dieselben Szenecafés und Yogakurse besuchen und sich dauernd gegenseitig ihre unverkäuflichen Kunstwerke schenken. Außerdem treten sie dauernd auf den Festen der jeweils anderen auf, natürlich kostenlos***, auch wenn sie sich eigentlich gar nicht ausstehen können.

Im Normalfall geht von Künstlerinnen keine Gefahr aus, meist sind sie etwas überkandidelt, aber unterhaltsam. Wenn man aber in Betracht zieht, daß sich jede dieser reiferen Damen aus der bürgerlichen Mitte tief drin für eine heimliche Revoluzzerin und berufsjugendliche Bilderstürmerin hält, dann schlummert in diesen Ladies durchaus ein gewisses anarchisches Potential.
Wenn Ihr also während eines Besuchs im größten Dorf einer Horde agitiert wirkender Endvierzigerinnen mit wirrem Haar begegnet, die anläßlich Che's Geburtstag nackt und unrasiert durch den englischen Garten stolpert, spätestens dann werdet Ihr wissen, was ich meine.


*) Hier liegt der Unterschied zu Frauen in psycho-sozialen Berufen, die derselben Generation angehören, denn jene tragen ihr Haar asymmetrisch geschnitten und mit betont breitem, grauen Ansatz. Hier bewahrt Sie vorheriges genaures Hinschauen vor eventuellen Peinlichkeiten.
**) der nie kommt
***) und weil für die dargebotenen "Genüsse" kaum jemand was bezahlen würde

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