Samstag, 18. April 2009

Stasi 2.0+

Was hat man sich doch in der "alten" Bundesrepublik erregt und aufgeplustert über die Art und Weise, wie in der DDR normale Bürger durch die Staatsmacht überwacht und gegängelt wurden.

Daß das neue Deutschland im Jahr 2009 da mal locker die DDR überholt hat, zeigt u.a. dieser, leider nicht mehr ganz taufrische Beitrag aus der "Zeit". Das hat nicht nur damit zu tun, daß die Überwachungstechnik in den letzten 20 Jahren einen großen Satz nach vorne gemacht hat, es scheinen sich auch vermehrt Politiker zu finden, die - aus was für Gründen auch immer - meinen, daß erst ein gläserner Bürger ein guter Bürger ist. Von der groß angelegten, nicht-staatlichen Überwachung und Bespitzelung von Angestellten, Kunden und anderen unverschuldet in Mißkredit geratenen Zeitgenossen durch Telekom, Deutsche Bahn, Lidl und wie sie noch alle heißen will ich da gar nicht erst anfangen.

Ich denke, wenn man all das zusammen nehmen würde, was man allein mit den Befugnissen von Finanzamt über GEZ bis zur gesetzlichen Krankenkasse an Informationen über jemanden zusammen tragen könnte, macht die meisten Polizeibehörden überflüssig. Wenn man dann noch die Informationen aus der Vorratsdatenspeicherung und die biometrischen Daten des neuen ePasses hinzuzieht, dann weiß die Staatsmacht erstmal so ziemlich alles über diese Person, was es zu wissen gibt.

Macht mir das eine Gänsehaut? Definitiv.

Muß ich dabei zwangsläufig an "1984", "Minority Report", "Brazil" oder "Staatsfeind Nr. 1" denken? Aber hallo...

Ganz besonders hat es unsern Polit-Koryphäen das Internet angetan. Offenbar trauen die freiheits-skeptischen Damen und Herren Politiker dieser vermeintlich gesetzlosen Entität zwar alles Böse, aber wenig Gutes zu. Ein solch scheinbar anarchisches Netzwerk scheint ihnen Unbehagen zu bereiten. Zu groß scheinen die Verführungen des "Netzes" zu sein, als daß man den mündigen Bürger damit allein lassen darf.

Vertrauen der Legislative in das (Un)rechtsbewußtsein der Bürger, in deren Umgang mit den von der Verfassung garantierten Rechten, in das Funktionieren des Rechtsstaats? Offenbar Fehlanzeige. Dem Bürger ist nicht zu trauen, die Freiheit, die ihm zuteil wurde, muß dem unbedarften Tropf schier über den leeren Kopf wachsen. Da braucht er gütige Hirten, die alle technisch machbaren Präventivmaßnahmen treffen, auf daß der treudoofe Otto Normalverbraucher nicht von rechten Weg abkomme. Aber da es ja doch ein paar Schäfchen gibt, die sich kopfschüttelnd fragen, was der ganze Schwachsinn überhaupt soll, klauben Menschen wie Herr Schäuble kurzerhand die Terror-, Kriminalitäts- oder sonstige greifbaren Keulen aus dem Schrank und braten den vorwitzigen Blökern eins über. Denn gegen die Bekämpfung des Terrors und sonstiger Übel kann ja kein anständiger Mensch irgendetwas haben, stimmt's? Und falls doch jemand was dagegen hat, dann ist der sicher nicht anständig...

Beispiel: Wenn ich einen Behördenvertreter (GEZ o.ä.), der ohne triftigen Grund meine Wohnung zu besichtigen wünscht, nicht über die Schwelle lasse, setze ich mich in den Augen dieses Menschen mit ziemlicher Sicherheit dem Generalverdacht aus, daß ich etwas zu verbergen hätte. In Wirklichkeit habe ich lediglich mein verfassungsmäßig garantiertes Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung ausgeübt. Das klingt jetzt zwar wie eine Zeile aus einem Grisham-Roman, aber es ist die simple Wahrheit.

Mit den plakativ vorgetragenen und allzeit griffbereiten Argumenten "Innere Sicherheit" und "Verbrechensbekämpfung" lassen sich prima zwei wichtige Nebensächlichkeiten unter den Teppich kehren: 1.) Taugen die eingeführten Maßnahmen überhaupt, um die angestrebten Ziele zu erreichen, auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit?* 2.) Was passiert, wenn mit den gewonnenen Daten Schindluder getrieben wird?

Neuestes Beispiel dieser Entwicklung wurde von Frau von der Leyen ins Leben gerufen. Deren gutes Bild bei mir hatte erst kürzlich einige Risse bekommen, als sie (sinngemäß) in irgendeiner Reportage über die Besteuerung von Tagesmüttern (ich glaube, es war "Markt" im NDR) stolz verkündete, daß sie den Kommunen erst kürzlich 3 Milliarden Euro für die Kosten der Kinderbetreuung rübergeschoben habe. Soweit ist die Aussage nicht zu beanstanden, aber wenn man bedenkt, daß die Bundesregierung zeitgleich mal eben 5 Milliarden (plus Zinsen) für eine Abwrackprämie mit zweifelhaftem Nutzen locker gemacht hatte, relativiert sich das Ganze rapide und mit enttäuschendem Ergebnis.

Neuester Streich der mir bisher recht CDU-untypisch sympathischen Familienministerin ist also der Sperrlisten-Vertrag des BKA mit den Internetprovidern zur Bekämpfung von Kinderpornographie. Darüber ist in den letzten Tagen viel geschrieben worden, einen der besten und wohl eindringlichsten Artikel darüber findet man hier.

Wer zu faul ist zum Lesen, hier die Kurzfassung: Der Vertrag ist Augenwischerei und zur (unbedingt notwendigen) Bekämpfung der Kinderpornographie weitgehend ungeeignet, die Gründe:

- die installierten Sperren gehen ins Leere, da es die kinderpornographischen Inhalte, die damit gesperrt werden sollen, in der Form gar nicht gibt,

- die installierten Sperren lassen sich kinderleicht umgehen,

- die Sperren können leicht auch Webseiten erfassen, die mit Kinderpornographie nichts zu tun haben,

- es gibt keine juristischen Kontrollmechanismen, die regelmäßig die Sperrlisten oder gesperrte Inhalte prüfen.

Darüber hinaus stellt der Artikel fest, daß das BKA, wenn es Webseiten sperren möchte, erstmal wissen muß, wo diese gehostet sind. Wenn letzteres aber erst einmal festgestellt ist, wäre es besser und weit effektiver, die entsprechenden Server oder Inhalt ganz aus dem Internet zu nehmen als diese einfach nur zu sperren. Mit der Seitensperrung wird das Problem nur weggeblendet, aber nicht bekämpft.

Für die mangelnde Effektivität solcher Sperren gibt es handfeste Indizien in Form von Beispielen aus anderen Ländern. Daher stellt sich die Frage, warum das Ministerium trotz aller berechtigten Einwände so begeistert an dem neuen Vertrag festhält. Eine Erklärung ist, daß der Vertrag ein nicht zu unterschätzendes Instrument zur Internetzensur darstellt, ein erster Schritt in Richtung einer umfassenden Kontrolle und Zensur von unliebsamen Internetinhalten. Dieses Instrument läßt sich nach dem Willen der jeweils Regierenden beliebig ausbauen und auch mißbrauchen, denn eine Kontrolle der Kontrolleure sieht der Vertrag bislang nicht vor.

Nun könnte ja Otto Normalsurfer daherkommen und - ähnlich wie bei den "Anti-Terror-Maßnahmen" sagen: Ist doch eine gute Sache, und mich betrifft es ja nicht. Dazu ein kleines, fiktives Fallbeispiel:

Herr N. hat eine Domain angemeldet, unter der er sowohl eine Familienwebseite als auch als Gewerbetreibender seinen Internet-Spezialversandhandel für Blumenzwiebeln betreibt.

Herr N. fährt nun mit seiner Familie in den Strandurlaub nach Mallorca. Für die daheimgebliebenen Großeltern stellt er regelmäßig Urlaubsfotos auf die Familienseite, auf denen auch einige Male die Kinder der N.s zu sehen sind, wie sie nackt am Strand Kleckerburgen bauen und baden, außerdem ein oben-ohne-Foto von Frau N. beim Sonnenbaden.

Ein übereifriger BKA-Fahnder wird auf die Webseiten der N.s aufmerksam und setzt diese auf die Sperrliste. Damit wird nicht nur die Familienwebseite gesperrt, sondern auch der Internetversandhandel von Herrn N. . Kunden von Herrn N., die versuchen, seine Webseite zu erreichen, treffen stattdessen auf einen Warnhinweis des BKA, der die Besucher der Webseite vor dem Besuch selbiger warnt und Herrn N. mit Kinderpornographie in Verbindung bringt. Daß diese Kunden nie wieder seine Webseite aufsuchen werden, versteht sich von selbst.

Die Großeltern, die ebenfalls erschrocken auf den Warnhinweis gestoßen sind, haben inzwischen Herrn N. telefonisch informiert. Dieser versucht panisch, die Angelegenheit mit dem BKA zu klären, erfährt aber, daß er, wenn er die Sperre rückgängig machen will, dagegen klagen muß.

Der übereifrige BKA-Beamte hat sich unterdessen ein wenig über Herrn N. schlau gemacht, und ihm ist aufgefallen, daß Herr N. überraschend häufig in die Niederlande fährt. Tatsächlich kauft Herr N. dort häufig seine Blumenzwiebeln ein. Herrn N. weiß nicht, daß Holland auch ein Umschlagplatz für Kinderpornographie ist. Der BKA-Beamte schon, und veranlaßt eine Durchsuchung der Geschäftsräume von Herrn N. Die polizeiliche Durchsuchung ist schon bald Stadtgespräch in der Kleinstadt, in der die N's leben. Ein Blick auf die Webdomain der Familie N., und schon bald wissen alle Bekannten, Nachbarn und Kollegen, daß Herr N. im Verdacht steht, mit Kinderpornos zu handeln.

Ich glaube, ich kann das Beispiel an dieser Stelle abbrechen, weiter folgen kann sich jeder beliebig ausmalen. Ich hoffe, es ist klar geworden, was gemeint ist. Man muß sich nicht mal besonders anstrengen, um einen solchen Fall zu konstruieren, in dem ein unbescholtener Mensch in die Mühlen eines entfesselten Überwachungsapparates gerät.
Und um es nochmal ganz deutlich zu sagen: Es geht nicht um die Nicht-Bekämpfung von Kinderpornographie. Aber wenn, dann bitte auch konsequent und mit Mitteln, die auch dazu taugen und nicht vordergründig auf die Beschneidung von Bürgerrechten und auf Zensur von freien Medien ausgerichtet sind.


Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner, Internetzensur - ich les solche Sachen und frage mich, wieso eigentlich - von den üblichen paar friedensbewegten Altkadern, attac-Aktivisten und Intellektuellen mal abgesehen - niemand gegen die Beschneidung unserer Grund- und Bürgerrechte auf die Straße geht. Verlassen wir uns alle einfach darauf, daß "die da oben" schon alles richtig machen werden, daß alle Gesetzeshüter aufrechte Helden vom Schlage einer Mischung aus Superman und Mahatma Gandhi sind und daß, wenn alle Stricke reißen, die allwissenden Verfassungsrichter in Karlsruhe schon wieder alles gerade biegen werden? Haben wir so wenig aus der Geschichte gelernt, oder sind wir einfach nur so derartig bequem, daß es die Sau graust, wenn man nur mal drüber nachdenkt?

Für all jene nochmal Artikel 5, Absatz 1 unseres Grundgesetzes:

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

*) Sonst könnte man ja jedem Erstkläßler bei der Einschulung prophylaktischdie Fingerabdrücke sowie Speichel- und Blutproben abnehmen, alles im Dienste der Verbrechensbekämpfung.

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