Dienstag, 20. Mai 2014

Liebe ausländische Mitbürger!

Immer wieder hör ich euch in Interviews sagen, dass ihr Deutschland unter anderen deswegen so schön findet, weil es hierzulande so schön sauber und ordentlich ist. Und wir finden gut, dass ihr dass gut findet.

Aber wißt ihr eigentlich, was uns das kostet? Diese zwanghafte Ordnungswut, diese anale Fixierung auf saubere Bürgersteige und getrimmte Rasenkanten? Dieses Immer-korrekt-, Immer-wohlgeordnet-und-sortiert-sein-müssen, dass uns von klein auf eingetrichtert wird?

It's driving us crazy.

Nicht ein einziges Mal können wir entspannt über einen Haufen Hundescheiße hinwegsehen, der auf dem Bürgersteig liegt. (Ich bin mir ziemlich sicher, dass etliche Leser bei dem Satz denken: "Das wär ja auch noch schöner!" - Sehr ihr, wie weit es schon ist?!) Ein unaufgeräumter Balkon läßt uns zusammenzucken,  bemooste Gartenmöbel bereiten uns körperliche Schmerzen. Dreck im Treppenhaus bereitet uns schlaflose Nächte. Es landen jährlich hundertausende Fälle von Nachbarschaftstreitigkeiten vor Gericht, weil irgendein Baum ein paar Blätter auf die falsche Seite des Zauns wirft und wegen ähnlicher Grausamkeiten.

Warum das so ist, fragt ihr? Wenn ich das wüßte. Hat vielleicht auch was damit zu tun, dass diverse Eiszeiten durch Deutschland gerumpelt sind, die überall ihre Muränen haben herumliegen lassen. Seht ihr davon noch was? Neee. Ratet mal, wer das wieder weggeräumt hat.

Ganz zu schweigen davon, wieviele Heere im Laufe der Zeit kreuz und quer durch Mitteleuropas Grünanlagen getrampelt sind und dort so ziemlich alles liegen gelassen haben, was man im Krieg so verlieren kann, einschließlich Sprengstoff, totes Reitgetier und diverse überzählige Arme und Beine. Jahrhundertelang hatten die Teutonen nichts anderes zu tun, als die Hinterlassenschaften durchreisender Römer, Dänen, Franzosen, Schweden und Österreicher wegzuputzen und einmal feucht durchzuwischen.
Die Schlacht im Teutoburger Wald gilt im allgemeinen als Geburtsstunde der Kehrwoche.

Wir können nicht mal im Urlaub aus unserer Haut. Urlaub vom Deutsch-Sein ist einfach nicht drin, zu tief sitzt die Konditionierung. Auf dem Campingplatz stecken wir unseren "Claim" mit kleinen, mitgebrachten Gartenzäunchen ab, bevor wir darin den Rollrasen verlegen. Am Hotel-Pool richten wir sämtliche Liegen parallel zueinander aus und greifen auch schonmal zu Taschenmesser (immer dabei) und Kabelbinder (auch), um einen laveden Sonnenschirm zu reparieren.

Wie gerne wären wir manchmal so wie ihr. Diese Lässigkeit, diese Nonchalance, mit der ihr alles einfach mal so liegenlaßt, wie es zu Boden gefallen ist: Abfall, Gartengeräte, Kleinkinder. Ihr schafft es sogar, das Fallgut gut und gerne mal ein paar Wochen liegen zu lassen, einfach so lange, bis ihr es wieder braucht. Wir würden lieber bei dem Versuch, die Teakholzgarnitur abzudecken, im strömenden Regen ersaufen, als das Mobiliar den Unbilden der Witterung auszusetzen. Ihr könntet uns waterboarden, die Zehennägel rausreißen und die Kniescheiben zertrümmern - wir bleiben standhaft. Aber mäht mal vier Wochen euren Rasen nicht oder laßt ihn mit Löwenzahn überwuchern, und wir verlieren jegliche Selbstbeherrschung und sagen euch ALLES.

Ich zum Beispiel. Wenn ich den dilettantisch gerodeten Acker sehe, den unsere türkischen Nachbarn ihren Garten nennen, kriege ich Streßpickel. Ich möchte eine Schaufel nehmen, rübergehen und irgendwas anpflanzen.
Die kroatische Parzelle vom Haus gegenüber ist nicht besser. Eingebettet zwischen zwei akkurat gestutzten Rosengärtchen urbayrischer Prägung liegt ein Stück Land, dessen Grasnarbe unter einem Konglomerat herumliegender Kinderfahr- und Spielzeuge fast völlig verschwunden ist. Zwischendrin ein Grill und eine bunt zusammengewürfelte Sitzgarnitur.
Seit ich gesehen habe, dass sie den Rost nach dem Grillen nicht saubermachen, wache ich nachts immer wieder schreiend auf.

Was ich damit sagen will: Bitte, bitte habt ein wenig Mitgefühl mit euren deutschen Nachbarn. Wir leiden an einem unheilbaren Ordnungs-Fetisch, jede Form von Unordnung bereitet uns Unbehagen. Das ist Folter, und das wollt ihr doch nicht wirklich antun, oder?

Also bitte, bitte: Geht aufräumen. Macht sauber. Irgendwas, völlig Wurscht. Mäht irgendwas, streicht irgendwas, schraubt irgendwas fest. Biiiiiitte!!!

6 Kommentare:

Ede hat gesagt…

…Ordnung behält ihren guten Sinn – allerdings nur, solange sie nicht zum
Stupiden Joch wird, und der Mensch noch genügend Chaos
In sich hat, die zu ordnen sich lohnt.

Thea Dorn "Die deutsche Seele" ...sehr schönes Buch, einfach mal lesen, da findest du viele Antworten auf deine Frage und nein das gibts nicht im NPD onlineshop ;-))

der Michel hat gesagt…

Bitte sag mir, dass du das nachschlagen mußtest und nicht aus dem Gedächtnis zitiert hast.

Wann liest du das eigentlich alles?

Ede hat gesagt…

hahahahaha...hab das gerade als Zitat meinem neuen Arbeitgeber in einer Presentation auf die Stufe gelegt, denn der liebt die Ordnung, aber tötet dadurch jede Kreativität, Neugier und Spaß seiner Mitarbeiter und wundert sich warum niemand gern für ihn arbeitet. arum die Leute permanent kündigen und Unmengen an Krankentage haben. Buch hatte ich zufällig vorher gelesen und dem Thema deutsche Ordnung war ein Kapitel gewidmet und ich hab mich sehr wiedergefunden...;-)

der Michel hat gesagt…

Willkommen in der Welt der "global player", wo für jede Klabusterbeere am Arsch des Vorstandsvorsitzenden genau ausgerechnet wird, welchen Anteil am Geschäftserfolg sie hat.

By the way: Welcome back!

Ede hat gesagt…

witzig ist aber dass sich irgendwie jeder für einen Vorstandvositzenden hält, aber leider nichts zum Geschäft beiträgt...oder zumindest nicht so fülle wie man sich selbst immer im MM-Meeting erzählt ;-)))

Ach die Welt ist ungerecht und ich frage mich ob Firmen wie Apple, Amgen, Regeneron, J&J .... andere Wege gefunden haben, um aus dem Sumpf der Mittelmäßigkeit herauszukommen.....

der Michel hat gesagt…

Innovation + Mut + Glück

Der heutige Zahlenfetischismus ist doch nur ein Ausdruck von Kleingeistigkeit, Fantasielosigkeit und Selbstzentriertheit. Manager mit Arsch in der Hose treffen auch mal eine Entscheidung, ohne alles bis auf die letzte Kommastelle durchgerechnet zu haben, einfach nur, und stützen sich auch mal nur auf Erfahrung und Instinkt. Und stehen dafür grade, wenns doch in die Hose geht.
Die Nasen heute meinen doch alle, sie müßten das Rad neu erfinden, haben aber noch nie eins gesehen. Lassen sich dann vom Statistiker bestätigen, dass das 8-eckige Rad mehr Chancen am Markt hat als das 4-eckige, entscheiden sich dann für das 6-eckige, weil das Controlling sagt, für das 8-eckige wär die Produktion zu teuer. Dann Werbekampagne, Mega-Flop, Leute verlieren ihre Jobs. Und Mus-chen-schiss geht zur Konkurrenz, um dort seine Vision des 7-eckigen Rades auf den Weg zu bringen...