Donnerstag, 17. August 2017

Lob des Kapitalismus

Ich hab gerade zwei Werbespots gesehen, die mir auf unterschiedliche Weise Tränen in die Augen treiben.

Der erste war von Focus Online und geht in etwa so: FO sendet eine Panik-Mitteilung an seine Nutzer, dass es eine große "Cyber-Attacke" gibt. Die Nutzer schalten ihre Geräte ab und bekommen kurz darauf eine Meldung von FO, dass der Virus-Angriff "verpufft" sei, weil so viele Nutzer rechtzeitig abgeschaltet hätten, FO sei Dank.

Nun traue ich den Focus-Machern ohnehin keine größeren Geistesleistungen zu, aber dieser Spot ist so bekloppt, dass es weh tut. Ob den Machern klar ist, dass "Angriffe" mit "Viren" nicht ablaufen wie eine Attacke der leichten Kavallerie? Und dass solche "Angriffe", um erfolgreich zu sein, in der Regel eine Mitwirkung der User erfordern, für die "online sein" lediglich eine Grundvoraussetzung ist?
Der Logikfehler, dass man, um die zweite, "erlösende" Mitteilung zu erhalten, wieder online gehen muss, ohne jedoch zu wissen, ob der Angriff dann vorbei ist (um im hanebüchenen Kontext des Spots zu bleiben), ist da schon zweirangig. Ebenso, dass - um im Bild einer "Attacke" zu bleiben - man für das Fabrizieren und Lesen einer solchen Mitteilung länger bräuchte, als ein Virus benötigt, um sich durchs Netz zu bewegen.

Aber wie gesagt: Ein Computervirus ist kein bissiger Jagdhund, der auf der Suche nach Beute durchs Internet rennt und der an einem vorbeirennt, wenn man sich rechtzeitig versteckt. Das aber suggeriert der Spot.
Halten die ihre Leser echt für so dämlich?

Der zweite Spot kam  von "so-möchte-ich-arbeiten.de", einer Initiative des Bayerischer Unternehmensverbands Metall und Elektro e. V..
Dieser Verein ist offenbar ein reines Lobby-Konstrukt der bayrischen Wirtschaft. Da taucht dann bei mir schon die erste Frage auf : Wieso macht ein bayrischer Interessenverband gesamtdeutsche Politik?
Denn in der Initiative geht es um die weitere "Flexibilisierung der Arbeitszeiten", weil wir ja in Deutschland den neusten Entwicklungen völlig hinterherhinken und - wie üblich in den Argumentationsketten - Arbeitsplätze gefährdet sind, wenn wir nicht schnell was gegen die "starren" Regeln machen.

Nochmal zum Mitschreiben: In jahrzehntelangen Arbeitskämpfen erstrittene Errungenschaften, von denen die Mehrheit der deutschen Arbeiterschaft profitiert, sollen weggeputzt werden, weil die geldscheffelnden Unternehmen im scheißreichen, deregulierten Deutschland noch mehr Knete machen wollen, von der aber wie gehabt bei "Arbeitnehmer" nichts ankommen soll? Und das in einer Zeit, in der wir aufgrund der fortschreitenden Automatisierung eigentlich über verringerte Arbeitszeiten reden sollten (bei gleichem Gehalt, natürlich) - zumindest hatte man uns das vor 50, 60 Jahren mal so prophezeit.

Auf deren Webseite werden denn auch unterschiedlichste Berufsgruppen vorgestellt, die allerschwerstens unter den Arbeitszeitregelungen leiden. Unter anderen die darbende Callcenterbranche - und da kann dann ich auch ein Wörtchen mitreden.
Perfiderweise wird hier aus Sicht der Arbeitnehmer argumentiert, die sich angeblich viel mehr Flexibilität wünschen. Man wolle weg von der tageweisen Betrachtung der Arbeitszeit zu einer Wochenbetrachtung (ohne jemals konkret zu sagen, was das konkret bedeuten soll), unter Beibehaltung des Arbeitszeitvolumens.

Dazu kann ich als Dienstplaner mal folgendes sagen: Die gesetzlichen Einschränkungen, denen die "Callcenter-Branche" entsprechen im Grunde den Minimal-Anforderungen des deutschen Arbeitszeitgesetzes: Tägliche Arbeitszeit von maximal 10 Stunden, einer Ruhezeit zwischen zwei Schichten von minimal 11 Stunden und entsprechenden Pausen. Sonntagsarbeit ist verboten, es sei denn, es geht um einen Notdienst.

Was soll daran noch herunterreguliert werden, wovon ein Arbeitnehmer auch noch profitieren soll? In einer Branche, in der ohnehin die Gehälter besch...en sind und die Mitarbeiter ein hohes Stress-Level ertragen müssen?

Ich kann mir nur zwei Gründe vorstellen, aus denen hier geschraubt werden soll.
Erster und vermutlich wichtigster Grund: Man will das Sonntagsarbeitsverbot kippen, ohne für Sonntagsarbeit Zuschläge zahlen zu müssen. (s. dazu auch dieser Artikel vom Tagesspiegel)
Zweiter Grund: Man will Mitarbeiter häppchenweise beschäftigen, also hier mal zwei Stunden, da mal drei, je nachdem, wie die Anrufpeaks aussehen. Das ist allerdings bis zu einem gewissen Grad bereits heute möglich, unter Zustimmung des Arbeitnehmers.

Auf der Webseite der Initiative kommt dann auch der Präsident des Callcenterverbands zu Wort, der es sich nicht nehmen läßt, erstmal davon zu schwärmen, was  das Callcentergewerbe in Deutschland und Bayern nicht für eine große und tolle Branche ist. Was er wohl nicht bedenkt: Damit impliziert er, dass die Branche bereits jetzt schon sehr erfolgreich Geld verdient - wohlgemerkt nicht die in der Branche Beschäftigten.

Was auch unerwähnt bleibt: Viele Unternehmen experimentieren in unterschiedlicher Weise und mit wechselndem Erfolg mit der Verlagerung ihrer Callcenter-Aktivitäten in den ehemaligen Ostblock oder auch gleich nach Indien, je nachdem, welche Sprachkompetenzen gefordert sind. Einziger Grund: Die Arbeit ist dort billiger. Daran würde auch eine Aufweichung des grundgesetzlich geschützten Sonntags hierzulande nichts ändern.

In welcher Weise die "Arbeitnehmer" von der gebetsmühlenartig geforderten "Flexibilität"  konkret profitieren sollen, darüber schweigt man sich bei der Initiative aus.
Zu den Beispielen aus den anderen Branchen kann ich wenig sagen bzw hab sie mir auch nicht angeschaut, vermute aber mal, dass Stoßrichtung und Argumentation sich jeweils ähneln.

In seiner Perfidität ein widerwärtiges Machwerk im Dienste der Profitgier der deutschen Wirtschaft.

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