Freitag, 5. Dezember 2008

München ist anders

Im größten Dorf der Welt gibt es ja bekanntermaßen an Straßen und Gehwegen diese Zeitungskästen, die der gemeine Deutsche eigentlich nur aus alten Hollywood-Streifen kennt: Klappe auf, Zeitung raus, Klappe zu. Entgegen der landläufigen Meinung einiger Zugereister (zuletzt sagte noch einer zu mir: "Cool, die kann man sich da einfach so rausnehmen!") müssen die Zeitungen bezahlt werden, ob sie es nun wert sind oder nicht. Kleiner Tipp: Deswegen haben die Dinger diese formschönen Münzschlitze.

Der einzige Ort in München, wo Zeitungen wirklich ungestraft und kostenlos aufgesammelt, gelesen und sogar mitgenommen werden dürfen, sind die öffentlichen Verkehrsmittel. Der Münchner hat es sich zur Angewohnheit gemacht (Zugereiste wie ich adaptieren das Prinzip sehr schnell), von Büchern mal abgesehen, all seine Lektüre in U-Bahnen, Trams und Bussen liegen zu lassen. Vermutlich ist die Entstehung dieser Sitte einfach nur irgendwie auf die individuelle Faulheit des urbanen Dorfbewohners zurückzuführen, so wie manche eben auch ihre halbleergesoffenen McDödels-Pappbecher überall rumstehen lassen. Im Gegensatz zu den Pappbechern kann man die Lektüre aber wiederverwenden, zumindest so lange niemand versucht hat, sich mit der Bild-Zeitung die Hundescheiße vom Schuh zu kratzen, wofür ich vollstes Verständnis hätte. Und so wird ein und dieselbe Zeitung x-mal gelesen. Ökologisch ist das auf hohem Niveau, ökonomisch für die Pressefuzzis eher ein Alptraum.
So richtig ästhetisch sieht so eine Gazette natürlich nicht mehr aus, wenn sie am Ende des Tages, von unzähligen Händen zerpflückt und tausendmal gefaltet, in der Plastiktüte eines Müllsammlers ihr Eintagsfliegenleben aushaucht. Aber mit Ästhetik hat ja die Aufmachung der meisten Revolverblättchen schon von Beginn an nicht viel zu tun.

Wenn man den heutigen Meldungen obiger Presseartikel glauben darf, kriegt das größte Dorf der Welt es grad ganz dicke. Nicht nur, daß der (oder heißt es das?) "Rhino-Virus" München im Würgegriff hält, da hat doch der böse Uwe Ochsenknecht behauptet, seine Noch-Wahlheimat sei "ein verschlafenes Nest"! Schock!
Nun ja, was soll ich sagen: Der Mann hat Recht. Ich erinnere mich gut an einen meiner ersten Samstagabende in München. Wie gewohnt wollte ich nach dem Kinobesuch mit Freunden noch hübsch irgendwo versumpfen. Aber was in einer Provinz-Kleinstadt funktioniert, muß in München noch lange nicht klappen, denn ich durfte zum ersten Mal in meinem Leben Bekanntschaft mit dem Thema "Sperrstunde" machen. Ich dachte immer, sowas wie eine Sperrstunde gibt's nur in Filmen mit Heinz Rühmann, leider mußte ich mich eines besseren belehren lassen. Tatsache war: In der Münchner Innenstadt war Samstagnacht um kurz nach 12 Uhr tote Hose, das hatte auch mit "verschlafenem Nest" schon nichts mehr zu tun, da hatte schon die Totenstarre eingesetzt. Ich war entsetzt. Von einer grausamen Wirtin, die uns sogar den obligatorischen "Absacker" verwehrte, wurden wir zu allem Überfluß ans Amüsier-Ghetto des damaligen Kunstparks Ost verwiesen. Das ist in etwa, als würde man einem Ertrinkenden statt eines Rettungsrings eine Handvoll halb aufgeblasener Kinderschwimmflügel zuwerfen.
Ob das heute noch genauso ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht, denn seit 2005 gibt es die böse 1-Uhr-Sperrstunde nicht mehr. Da war ich aber bereits dem "Zug um die Häuser"-Alter entwachsen und war nahtlos in die "ohne-Babysitter-an-die-Wohnung-gefesselt"-Phase eingetaucht, in der ich noch immer feststecke. Nachdem aber manche Gewohnheiten nur recht langsam sterben und dabei manchmal sogar der Konsum zurückstehen muß, glaube ich, daß viele Etablissements noch immer gegen 1 Uhr die Schotten dicht machen. München, die Weltstadt mit Herz, aber ohne Leber und Milz.

Einzig das P1, Vorhölle aller Vorstadtblondinen und Provinzhedonisten, die gerne vor dem eigenen Spiegelbild onanieren, hält tapfer Stand und tut noch immer so, als würde Mick Jagger dort jeden Abend auf dem Tresen tanzen. Aber dazu vielleicht später mehr.

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