Discounter Norma hat gestern offiziell die Adventszeit eingeläutet.
Anders kann ich mir zumindest nicht erklären, daß mich gestern aus einem Supermarktregal Nachbildungen kirchlicher Würdenträger auf Schokoladenbasis angrinsten, flankiert von Dresdner Christstollen und Pfeffernüssen.
Nun habe ich eigentlich nicht die Absicht, mich wie x Comedians und Alleinunterhalter vor mir künstlich darüber aufzuregen, daß Weihnachsfressereien jedes Jahr eine Woche früher in den Läden stehen. Das ist in etwa so originell wie Arztwitze und Inge-Meysel-Parodien.
Aber mal im Ernst: Wir haben Anfang September. Die Sonne scheint, Blumen blühen, Wespen nerven, die Blätter hängen noch am Baum. In zwei Wochen ist erstmal Wiesn.
Welcher kranke Vollhonk liegt jetzt am Baggersee und frißt Christstollen? Wer unterfüttert seine Maßkrug-Schluckerei mit Spekulatius?
Und was kommt als nächstes? Sonnenmilch mit Glühwein-Aroma? Cruisen im Cabrio, während "In der Weihnachtsbäckerei" aus den Boxen dröhnt? Garten-Barbeque mit Weihnachtsgans? Beach-Volleyball mit Marzipan-Kartoffeln?
Das Schlimme ist ja nicht, daß das Zeug im Laden steht. Zwingt mich ja keiner, das zu kaufen. Am Ende findet an einem ungemütlichen, verregneten Spätsommernachmittag vielleicht doch die ein oder andere Schoko-Printe den Weg in meinen Verdauungstrakt.
Aber soweit ich mich daran erinnere, war in meiner Kindheit ein Eckpfeiler der Weihnachtsvorfreude, daß irgendwann ein Paket von Tante Frieda aus dem Westen kam, aus dem es atemberaubend nach Jacobs Kaffee, Mandarinen und Schokolade duftete. Darin fanden sich auch ein paar Tütchen mit Backzutaten, die umgehend ihren Weg in die Plätzchenverarbeitung fanden. Und vor dem Konsum bildete sich die ein oder andere Schlange, weil die monatliche Zuteilung Jahresendschokoladenhohlkörper oder furztrockener Kuba-Orangen eingetroffen war.
Das alles passierte nicht im Sommer und nicht im Herbst, sondern kurz vor Weihnachten. In der Adventszeit. Wenn sich all dies ereignete, wußte damit auch der letzte Dorftrottel, daß Weihnachten vor der Tür steht. Es bestand ein kausaler Zusammenhang zwischen Weihnachts-Gebäck, Vorfreude und baldigem Fest.
Die minderjährigen Weihnachtswichtel von heute betrügen wir mit unserem Konsumverhalten um diese schöne Kausalkette. Die Schlußfolgerung "Schoko-Nikolaus im Regal - höchste Zeit für den Wunschzettel" läßt sich für die armen Würmer so nicht mehr ziehen. Irgendwann werden wir unseren Nachwuchs so verwirrt haben, daß sie mit dem Strohkörbchen vor der geschmückten Tanne stehen und zwischen den Geschenken nach Eiern suchen. Wenn man jetzt noch die selbstgemachte Erderwärmung noch mit uns Boot holen, die "weiße Weihnachten" Jahr um Jahr unwahrscheinlicher erscheinen läßt, wird eins langsam klar: Wir klauen unseren Kindern das Weihnachtsfest. So, wie es mal in unserer Kindheit war und in unzähligen kitschigen Weihnachts-Filmen immer noch ist, wird's nicht mehr. Was für ein deprimierender Gedanke. Lebkuchen im Sommer, Tannenduft aus der Dose und der Like-Button auf der Santa Claus-Facebook-Seite lassen die heimelig-besinnliche Weihnachtsromantik immer mehr zur Fassade für eine hemmungslose Orgie aus Völlerei und Konsum verkommen. Weihnachts-Botschaft, Nächstenliebe und Besinnlichkeit? Am Arsch.
Jetzt wird sicher der ein oder andere denken: "Boah, was'n mit dem los? Gerade war's noch voll lustig, und jetzt dreht der ab und macht einen auf Gesellschaftskritik!"
Jep. Genau so sieht das aus. Das ist das Schöne daran, einen eigenen Blog zu haben. Da kann man in einem Satz etwas über das neue italienische Restaurant im Viertel schreiben, und im nächsten ist man schon beim Panzer-Deal mit Saudi-Arabien, kurz bevor man das neueste Foto der schlafenden Hauskatze postet.
In der Süddeutschen geht sowas nicht.
Mittwoch, 5. September 2012
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