Montag, 15. Juni 2009

Autonomasiehorror

Jeder, der schon mal an einem längeren Bericht oder Textbeitrag herumgestrickt hat, kennt das Phänomen: Will man nicht ständig das Ob- oder Subjekt des Interesses beim Namen nennen, muß man sich Umschreibungen oder Ersatzworte einfallen lassen. Der Fachbegriff dafür lautet: Autonomasien. Je länger ein Text, umso bunter und ausgefallener werden die Auswüchse und Wortkreationen. Auch Bastian Sick ("Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod") hat diesem Thema eine Kolumne gewidmet.

Manche Journalisten scheinen aber eine handfeste Phobie vor dem Gespenst der Wiederholung zu haben, so verbissen meiden sie Mehrfachnennungen in Texten.

Einen besonderen Vogel hat für mich dabei Christian Leetz abgeschossen. Dieser hat sich im Flyjournal 2/2009 der TUIfly an einer einseitigen Interview-Reportage über Ulrich Wickert verausgabt und sich dabei nicht weniger als 20 verschiedene Formulierungen aus den Rippen geschnitten, ohne auch nur eine davon ein zweites Mal zu verwenden.

Dies beginnt schon in der Überschrift. "Der Meinungsmacher" heißt es dort. Und weiter: "Ulrich Wickert - Journalist, Buchautor und Hochschulprofessor aus Leidenschaft". Damit wären weitere 3 Umschreibungen abgehakt. Und so geht es Schlag auf Schlag weiter. Im nachfolgenden Text ist Wickert im fliegenden Wechsel

- der Nachrichtensprecher
- das ehemalige SPD-Mitglied
- der 66-Jährige
- der Diplomatensohn
- der Medienmann
- der Nachrichtenmann
- der Fernsehmann
- der Korrespondent
- der Wahlhamburger
- der Mann von Welt
- Mister Tagesthemen
- der in Tokio geborene Journalist
- der Honorarprofessor
- der Autor
- der Herausgeber
- und schlußendlich "der Vater einer Tochter".

Wohlgemerkt: Ich werfe hier keinen Stein. Das Ringen um eine passende Formulierung hat auch mich schon manches Mal zur Verzweiflung getrieben. Aber dieser Text ist wirklich ein Kleinod journalistischer Wiederholungsparanoia. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was Herr Leetz gemacht hätte, hätte er eine zweiseitige Reportage abliefern müssen. Vermutlich hätten wir uns auch gegen Rhetorikungetüme wie "der Büchermann", "der News-Titan" oder "der bekennende Sitzpinkler" o.ä. wappnen müssen.

Übrigens: Herr Leetz ist Reisejournalist und Redakteur und macht seinen Job, seiner Webseite nach zu urteilen, ansonsten ganz ordentlich.

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