Donnerstag, 30. Juli 2009

Die Pest auf Rädern

Kennt jemand den Film „The Wild One“? Darin fällt eine wildgewordene Horde Gesetzloser auf 2 Rädern über eine Kleinstadt her und terrorisiert die Einwohner.

Die Münchner Blade Night funktioniert im Prinzip genauso, nur dass die Terroristen hier auf 8 Rädern unterwegs sind.

In den Sommermonaten schnallen sich jeden Montag ein paar hundert, manchmal auch ein paar tausend Rollschuh-Rocker ihre Inline Skates unter die Gehwarzen und fallen wie ein Schwarm Heuschrecken über die nächtlichen Münchner Straßen her. Was an sich ja gar nicht sooo tragisch wäre, wenn sich die Leute nicht benehmen würden wie die Siebte Kavallerie im Indianerreservat.

Begonnen hat der Irrsinn 1999, kurz nachdem findige Strategen ihre alten Rollschuhe in neuem Design als Inline Skates auf den Markt geschmissen hatten. Und die fitnesshungrigen Trendsklaven der Münchner Szene hechelten natürlich auch diesem Hype hinterher wie Pawlowsche Hunde hinter der Wurst. Einziger Grund auch hier: Potentiellen Fortpflanzungspartnern zu signalisieren, dass hier ein hipper, irgendwie sportlicher und ungemein dynamischer Chromosomenspender durch die Botanik rollert. So sah man in der Anfangszeit scharenweise Jungmanager, Werbefuzzis und Jurastudentinnen mit aufgeschürften Knien, zerschrammten Nasen und blutigen Handflächen durch die Gegend stolpern und bei After-Work-Partys über Kugellager und Rollwiderstände fachsimpeln, statt wie bisher die letzte „Ally McBeal“-Folge zu betratschen.

Es dauerte ebenfalls nicht lange, bis jemand auf die geniale Idee verfiel, all die ex- und ram-ponierten Körperenden mit Schonbezügen zu versehen, je nach Brieftasche aus Plaste&Elaste aus Schkopau oder aus pelzgesäumten Kevlar-Panzerplatten. So verwandelten sich schmächtige Power-Point-Gurus in Yuppie-Tracht nach Feierabend in anmutig dahingleitende Ritter der Großstadt, gewandet in schwarzglänzende Klettverschluß-Rüstungen. Zumindest, was das eigene Selbstbild anbetrifft, in Wirklichkeit hangelten sich albern gekleidete Feierabendkrieger unbeholfen von einem Laternenpfahl zum nächsten, immer Gewahr, am Kühlergrill eines genervten UPS-Fahrers oder zwischen den Tramgleisen feststeckend ihre Randgruppenexistenz zu beenden.

Bald sahen sich sogar Juristen gezwungen, sich mit der Bladerplage auseinander zu setzen. Denn den Skaters ging es wie den Insassen von Guantanamo: Alle waren zwar dafür, dass sie sich irgendwo frei bewegen durften, aber keiner wollte sie haben, weder Radfahrer auf „ihren“ Radwegen, noch die Fußgänger auf dem Trottoir. Der Frust wuchs, auf allen Seiten, zumal die Zahl der Bladehungrigen beharrlich stieg. Nicht weiter verwunderlich in einer Stadt, in der tagtäglich tausende Singles auf der Suche nach knatterwilligen Gleichgesinnten sind. Bald erkannten auch Sponsoren, dass sich mit der Kanalisation dieses sowohl sexuellen als auch verkehrstechnischen Frustpotentials viel Geld verdienen lässt – die Münchner Blade Night war geboren. Fortan waren Nicht-Blader in den Sommermonaten gut beraten, an Montagabenden zu hause zu bleiben, denn dann rollte die Inline-Lawine durch die abgesperrten Straßen der Innenstadt.

Obwohl es immer wieder Gerangel wegen fehlender Sponsoren gab und auch die Trendlemminge aus den Werbeagenturen ihre Rollschuhe rasch wieder an den Nagel gehängt hatten, gibt es die Blade Night heute immer noch. Nur fahren einem heute nicht mehr smarte Junior Manager die Ohren ab, sondern - ganz mainstream-konform - fusselhaarige Oberstudienräte in verbeulten Cordhosen und andere gelangweilte Großstädter, die jeden Scheiß mitmachen, solange ein wie auch immer geartetes „Wir-Gefühl“ dabei herausspringt. Und spätestens seit sich unser Planet für die globalisierte Menschheit erwärmt, hat man zudem überraschend festgestellt, dass Rollerblades keinen Motor haben und deswegen total öko sind. Und weil in einem grossen Dorf jeder gerne öko sein will, schnallt man sich Plastikgadgets an Füße, Knie und Ellenbogen und brettert Gauloises rauchend durch die hell erleuchteten Straßen der nächtlichen City, säuft dabei Schweizer Kräuterbrause aus dem Plastikbecher und darf sich fühlen, als habe man gerade im Alleingang eine brennende Ölquelle gelöscht. Nach Ende besteigt der Freizeit-Öko seinen Vorstadtpanzer und juckelt wieder nach Hause ins tropenholzgetäfelte Eigenheim.

So richtig ätzend wird die Blade Night aber für diejenigen Nicht-Blader, die gezwungen sind, den Weg des Rollkommandos kreuzen zu müssen. Das bedeutet dann nämlich, gemeinsam mit anderen Fußgängern zähneknirschend am Straßenrand zu stehen, während eine halbe Stunde lang ein ununterbrochener Strom von Speedjunkeys an einem vorbei schießt. An eine unbeschadete Überquerung der Straße ist dabei nicht zu denken. Ebenso gut könnte man versuchen, einen angreifenden Nashornbullen mit einer Marshmallow-Schleuder aufzuhalten.
Auf diese Art Pamplona-Feeling kann wohl nicht nur ich ganz gut verzichten.

Kleinere Dörfer als München dürfen aber aufatmen, denn Inline Skates sind weitgehend ein Großdorf-Phänomen. Denn erstens sind holprige Feldwege einem eleganten Dahingleiten eher abträglich, zweitens fehlt das Publikum (Kühe und Schafe zählen nicht). Denn der gemeine Blader möchte gesehen und bewundert werden, entweder für seine High-Tech-Ausrüstung oder für die Nonchalance, mit der er sich fortbewegt. In Dörfern wie München mag sich für diese Art primitiver Wertschätzung ja ein williges Publikum finden, auf dem Land wird man für soviel Affigkeit kurzerhand mit dem Trecker überfahren.

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