Dokumentarische Seife, Schein-Realitäten oder: The Daily Shit

Hallo, liebe Teenager! Oder soll ich lieber gleich "Doofköppe" sagen?

Laut Umfragen unter prä-dementen Bildungsallergikern pflanzt eine große Anzahl von euch ihre adipösen Hinterteile jeden Nachmittag vor den Fernseher und schaut euch fasziniert das an, was Fernsehmacher "scripted reality", normale Menschen "Bockmist" und ihr vermutlich "fett krassen Shit" nennt.

Und laut derselben Umfragen ist die Hälfte von euch Torfnasen davon überzeugt, daß die billig heruntergekurbelten, klischeebeladenen Dramolette aus dem beschränkten Mikrokosmos der Berufsproleten reale Begebenheiten abbilden. Und jeder Dritte von euch glaubt sogar, daß die hölzernen Hartz4-Komparsen gar keine grottenschlechten Schauspieler aus einer Hückelhofener Laienspiel-Kombo sind, sondern richtig echte Menschen, deren wirklich wahres Leben dort dokumentarisch abgelichtet wird.

Nutzt ihr eigentlich eure Köpfe nur zum Pickelausdrücken, oder was? Das muß doch sogar ein Angehöriger der werberelevanten Amöbenhirn-Zielgruppe merken, daß diese strunzdummen Sozialpornos rund um schwangere Teenager, Plattenbaubewohner mit Tourette-Syndrom und internetsüchtige Hartz4-Alkis nur dem kranken, sadistischen Hirn eines TV-Autors entsprungen sein können. Und für die paar unter euch, die a) lesen können und b) dies auch ab und zu praktizieren, wird sogar vor und nach jeder Folge eingeblendet, daß es sich um fiktive Geschichten handelt. Wenn man jetzt nur noch wüßte, was "fiktiv" (kicher!) bedeutet...

Andererseits: Wer kann's euch verdenken, daß ihr euch diesen gequirlten Mist anschaut? Wenn man davon ausgeht, daß ihr außer Facebook und Fernsehen nichts mit euch anzufangen wißt, bleibt euch zwischen nachmittags nur die Wahl zwischen den erwähnten Doku Soaps bei den Privaten, Kochshows im ZDF, einer Telenovela in der ARD, der 50sten Wiederholung von "Two and a Half Men" oder "Switch" oder irgendeiner Hitler-Doku auf irgendeinem N-Sender...

Aber ihr, Privatfernseh-Autoren und -Redakteure! Schon klar, daß auch ihr irgendwie euer Geld verdienen müßt. Ich könnte mir auch vorstellen, daß die Drogen, die man benötigt, um all den geistigen Dünnpfiff verzapfen zu können, nicht ganz billig sind.
Aber muß es wirklich "scripted reality" sein? Echt jetzt? Wäre es nicht würdevoller, für ein Trinkgeld durchfallgeplagten Pudeln die Klabusterbeeren vom Hintern zu puhlen? Oder als kosmischer Poolreiniger mit einem Netz gefrorene Astronautenscheiße aus der erdnahen Umlaufbahn zu fischen?

Stattdessen verdient ihr eure Brötchen damit, euch Wichsvorlagen für Unterschichten-Voyeure auszudenken. Sich diesen Dreck jeden Tag anzukucken, kommt einer stückweisen Plastinierung der Großhirnrinde gleich und ist letztlich nur auch mit einer solchen zu ertragen. Und offenbar entblödet ihr euch nicht mal, sensiblere Formate wie die "Super Nanny", wo sich unter Beteiligung von echten Kleinkindern echte Tragödien abspielen, redaktionell "aufzupeppen".

Wieviel Alkohol braucht man eigentlich, um sich vor dem Blick in den Spiegel so viel Verkommenheit schönzusaufen? Oder spult ihr einfach Szenen aus der eigenen verkorksten Restexistenz in Endlosschleife vor dem geistigen Auge ab? Wie schläft es sich eigentlich mit dem Bewußtsein, aktiv an der schleichenden Bushidoisierung dieser Republik mitzuwirken? Was macht ihr eigentlich so in eurer Freizeit? Baby-Robben totkitzeln? Fotos von überfahrenen Igeln sammeln?

Links:
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/media/dokusoaps100.html
http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2011/panorama3283.html
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/media/zapp4499.html
Serdar Somuncu über Scripted Reality
Deutsches Fliesentischmuseum